Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Seite - 265 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 265 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945

Bild der Seite - 265 -

Bild der Seite - 265 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945

Text der Seite - 265 -

3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus | 265 liert: Kann etwas erst sein, wenn es ein Wort dafür gibt? Oder anders gefragt: Litten Menschen auch schon an Neurasthenie, bevor der amerikanische Psychiater George Miller Beard um 1880 dafür den Begriff der „Neurasthenie“ (er)fand?264 Joachim Radkau, der sich als einer der ersten Historiker im deutschsprachigen Raum mit dem Phänomen der Neurasthenie auseinandersetzte, legte meines Er- achtens sehr überzeugend dar, dass es sich bei der Neurasthenie nicht um ein rein kulturelles Konstrukt, sondern durchaus um eine faktisch erlebte Leidenserfahrung handelt, dass aber Diagnostik, Ätiologie, Verlauf der Erkrankung und Therapie eine jeweilige zeitgebundene Einbettung aufweisen.265 Im Fall der Neurasthenie lässt sich sogar von einem eigenen damit verbundenen Lifestyle sprechen, der seine markan- teste Ausprägung in der Bäder- und Sanatorienkultur der Jahrhundertwende hatte. NeurasthenikerIn zu sein, lag im Puls der Zeit und das nicht nur im realen Leben: Auch in zahlreichen Romanen findet sich die Kultur der Neurasthenie, vom „Zau- berberg“ Thomas Manns bis hin zu Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“. Auch die BewohnerInnen von Perle, Alfred Kubins Traumreich-Hauptstadt aus dem Roman „Die anderen Seite“, waren selbstredend überwiegend NeurasthenikerInnen: „Perle liegt auf dem gleichen Breitengrad wie München, aber das Klima ist derartig mild, daß sich selbst die nervösesten Menschen in kurzer Zeit außerordentlich wohl fühlen. Ge- hörte doch ein großer Teil der Traumleute früher zu den ständigen Gästen der Sanatorien und Heilanstalten.“266 Wenn Kubin hier Klima und Sanatorien anspricht, stellt sich auch die Frage nach den Ursachen der Neurasthenie. Viele Sanatorien warben mit ihrer ruhigen Lage in abgelegenen Regionen außerhalb von Großstädten. Impliziert ist damit ganz klar, dass Lärm, Geschwindigkeit, Hektik, alles verkörpert im neuen Typus der Groß- stadt, als zentrale Ursachen des Nervenleidens zu sehen seien. Belegt werden konnte dies selbstverständlich nie, und es gab durchaus Zweifel und Kritik an der „Mo- dernitätsthese“. George  M. Beard gehörte in jedem Fall zu deren Anhängern. In 264 Gemeinhin gilt der amerikanische Mediziner George  M. Beard als „Erfinder“ des Neurasthenie- Begriffs. Zweifellos wurde der Begriff („neurasthenia“) auch schon zuvor in verschiedenen Zu- sammenhängen verwendet. Beard war es, der damit ein bestimmtes, von ihm als neu dargestelltes Krankheitsbild umriss, das sich im Auftreten einer Vielzahl teils sehr unspezifischer Symptome zeigte, die Beard unter dem Begriff der „Nervenschwäche“ oder Neurasthenie zusammenfasste. Sein erster Aufsatz, der den Begriff im Titel trug, erschien 1869, 1881 folgte die stärker wahrge- nommene Monographie American Nervousness. Its Causes and Consequences. A supplement to Nervous Exhaustion (Neurasthenia), New York 1881. 265 Vgl. Radkau, Zeitalter der Nervosität, 13  ff. 266 Kubin, Die andere Seite, 25. Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
zurück zum  Buch Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945"
Zeitwesen Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Titel
Zeitwesen
Untertitel
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
Autor
Birgit Kirchmayr
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-23310-7
Abmessungen
17.3 x 24.5 cm
Seiten
468
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 11
  2. Fragestellung und Ausgangsthesen 11
  3. Theoretische Bezugsrahmen 14
  4. Quellen 17
  5. „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
  6. 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
    1. 1.1 Auto/Biographieforschung 33
      1. 1.1.1 Lebenslauf, Biographie, Autobiographie oder Auto/Biographie? 34
      2. 1.1.2 Auto/Biographie und Geschichtswissenschaft 39
      3. 1.1.3 Auto/Biographie und Geschlecht 47
    2. 1.2 Künstlerauto/biographie 51
      1. 1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der Künstlerbiographik 51
      2. 1.2.2 „Biographische Formeln“: Die „Legende vom Künstler“ 54
      3. 1.2.3 Geniekonzept und Autobiographical Life 59
    3. 1.3 Auto/Biographische Quellen 63
      1. 1.3.1 Autobiographie 65
      2. 1.3.2 Brief 66
      3. 1.3.3 Tagebuch 72
  7. 2 KünstlerInnen über sich 79
    1. 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
      1. 2.1.1 Der Künstler, sein Archivar und sein Nachlass 80
      2. 2.1.2 Die Autobiographie „Aus meinem Leben“ (1911–1952) 83
    2. 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
      1. 2.2.1 Der Künstler als Erzähler 105
      2. 2.2.2 Die Autobiographie „Mein Leben“ (1971) 109
    3. 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
      1. 2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen 136
      2. 2.3.2 „Biographische Notizen“ (1929) 138
    4. 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
      1. 2.4.1 Erklärungen zu einem Negativbefund 150
      2. 2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927) 154
    5. 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
      1. 2.5.1 Versuch einer Verweigerung 164
      2. 2.5.2 Der „Lebensbericht“ (1968) 166
    6. 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
  8. 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
    1. 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
      1. 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
      2. 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
      3. 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
      4. 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
    2. 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
      1. 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
      2. 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
      3. 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
      4. 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
    3. 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
      1. 3.3.1 Alfred Kubin: Von der Ariosophie zum Buddhismus 277
      2. 3.3.2 Aloys Wach, die Kabbala und Jesus Christus als „Okkultist“ . . . . . . . 284 Exkurs: Die „Affäre Schappeller“ 291
    4. 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
  9. 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
    1. 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
    2. 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
      1. 4.2.1 Kubin, der Krieg und das Ende der „alten Ruhe“ 321
      2. 4.2.2 „Ich bin so froh, dass ich noch lebe“: Oskar Kokoschka und der Erste Weltkrieg 328
    3. 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
      1. 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
      2. 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
      3. 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
      4. 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
    4. 4.4 Nationalsozialismus 382
      1. 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
      2. 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
      3. 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
      4. 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
    5. 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
  10. Dank 426
  11. Abkürzungsverzeichnis 428
  12. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
  13. Quellen- und Literaturverzeichnis 431
  14. Archive und Sammlungen 431
  15. Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
  16. Literatur und gedruckte Quellen 432
  17. Personenregister 463
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Zeitwesen