Seite - 294 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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| 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche
Diskurse294
Kreise hinausgehen, eines war für Schappeller dabei aber wichtig: Keinesfalls dürfe
die Entdeckung in „jüdische“ Hände fallen. So schrieb er 1926 an Schöpfer:
„Ich glaube, dass Herr Prälat noch nicht vergessen haben, dass ich gegen die Juden bin und
diese direkt und indirekt nicht mittun dürfen. Was die Bank ist, wissen wir und Sie haben
sich darüber so geäussert, dass ich staune, dass man wieder Banken heranziehen möchte,
die die Herren über die Urkraft würden. […] Ist die Urkraft auch nicht Gott, so ist sie von
Gott und ich habe in der Jugend die Lehre im Katechismus so aufgefasst, dass sein Odem
in Form von Strahlung und so vorhanden ist, wie die Allegorie sie uns versinnbildlicht.
Da ich in der Religion meine Grundelemente für die Studien über die heilige und hohe
Macht der Kraft im Kosmos gefunden, bin ich auch meiner christlichen Religion treu
geblieben.“365
Schappeller verhandelte aber nicht nur mit österreichischen Christlichsozialen.
Besonders Furore machte Ende der 1920er-Jahre die Verbindung zum ehemaligen
deutschen Kaiser Wilhelm II. und dessen zweiter Ehefrau Hermine, die aus dem
holländischen Exil Schappellers Unternehmungen finanziell unterstützten. Das
Geld aus der Privatkasse des Ex-Kaisers ermöglichte Renovierungsarbeiten im
Schloss und den Ankauf eines Automobils: Ein ganzer Ordner mit Anbotschreiben
und Katalogen von Automarken wie Adler, Ford, Mercedes Benz, Gräf und Stift oder
Bugatti, eingeholt im Herbst/Winter 1928/29, findet sich in Schappellers Nachlass.
Entschieden hat man sich für ein Modell der Marke „Studebaker“: Die Illustrierte
Kronenzeitung zeigte die Familie Schappeller bei Weihnachtseinkäufen im Februar
1929 vor ihrem Automobil.366
Im Sommer 1929 endete der Geldfluss aus Holland: Wilhelm II. hatte seinen
Finanzverwalter entlassen, der Nachfolger sah die Schappeller-Subventionierung
kritischer und stellte schließlich die Zahlungen ein. Für Schappeller wurde es eng:
Der Kaufvertrag des Schlosses Aurolzmünster sah vor, dass im Fall einer Nicht-Ver-
wertung seiner angekündigten Erfindung das Schloss an den Verkäufer Graf Arco
von Valley zurückfällt, zudem bedrängten die lokalen Gläubiger Schappeller. In den
Zeitungen wurde die „Affäre Schappeller“ nicht mehr als Wissenschafts- und Tech-
nikstory, sondern als Betrugsskandal kolportiert.367 Die alten Förderer um Aemilian
Schöpfer sprangen nochmals ein, beglichen die Restschulden und sicherten Schap-
365 OÖLA, NL Schappeller, Sch. 11, Schappeller an Schöpfer, 9.6.1926.
366 Illustrierte Kronenzeitung, 3.2.1929, 4 (Zeitungsausschnitt auch im OÖLA, NL Schappeller,
Sch.
5). Nach Wachs Darstellung trug das Auto den Namen „Micherl“. Vgl. Wach, Schin, der Herr
der Zahl 22, 86.
367 Z.B.: OÖ Tageszeitung, 30.5.1929 (Zeitungsausschnitt auch in OÖLA, NL Schappeller, Sch. 1).
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463