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3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert | 295
peller damit weiterhin Schloss Aurolzmünster. Die Meldungen um die „Urkraft“
aber versiegten, es wurde still um Carl Schappeller.
1932 begann aber ein neues Abenteuer. Im Frühling des Jahres erschienen
erste Meldungen um sensationelle Entdeckungen eines Wünschelrutengängers in
Schloss Aurolzmünster: Die Innviertler Zeitung titelte als erste: „Attilas Grab in
Aurolzmünster?“368 Berichtet wurde, dass ein heimischer Wünschelrutengänger im
Auftrage des Münchner „Instituts für Ruten- und Pendelforschung“ am Gelände des
Schlosses Aurolzmünster forsche. Interessant ist, dass in der folgenden medialen
Berichterstattung kaum Bezug genommen wurde auf Schappellers frühere Unter-
nehmungen rund um die „Urkraft“. Das „Attila-Unternehmen“ wurde davon un-
abhängig entweder als ernsthafte Grabungsoption oder als sinnloses Unternehmen
eingeschätzt:
„Aus Aurolzmünster, wo bekanntlich Schappeller mit Hilfe eines Rutengängers Attilas
Grab entdeckt haben will, wird gemeldet: […] Der Wiener Univ. professor Dr.
Rudolf Eg-
ger äußert hiezu: Der Wissenschaft sind die näheren Umstände des Todes Attilas bekannt
und wir wissen auch ungefähr, in welcher Gegend sein Grab zu suchen ist – gerade in der
entgegengesetzten.“369
Fakt ist, dass Carl Schappeller im Februar 1932 dem Rutengänger Alois Binderber-
ger eine Untersuchung des Geländes von Schloss Aurolzmünster gestattete. Bei einer
Begehung soll dieser zusammengebrochen sein. Als Grund wurde die „Hunnen-
strahlung“ vermutet, was als Beleg für die Existenz des Grabes des Hunnenkönigs
Attila unter dem Schlossgelände genommen wurde und Auslöser war für den Start
von archäologischen Grabungen. Ähnlich wie Schappellers „Raumkraft“ in der zeit-
genössischen (pseudo-)wissenschaftlichen Debatte ihr diskursives Umfeld hatte,
waren auch Meldungen über angebliche Standorte des legendären Grabes des Hun-
nenführers Attila zeitgenössisch sehr populär.370
Wieder war es Prälat Schöpfer, der das Projekt förderte und Finanzhilfe auftrieb.
Es wurde ein aufwändiges Grabungsunternehmen gestartet, das viel Geld verschlang
368 Innviertler Zeitung, 16.3.1932 (Zeitungsausschnitt auch in OÖLA, NL Schappeller, Sch. 5).
369 Morgenblatt, 5.4.1932 (Zeitungsausschnitt auch in OÖLA, NL Schappeller, Sch. 5).
370 1937 veröffentlichte Alexander Lernet-Holenia – vermutlich inspiriert durch Schappellers Aktivi-
täten – den Roman „Der Mann im Hut“, in dem der Held Nikolaus Toth sich in Begleitung eines
geheimnisvollen Fremden namens Clarville in Ungarn auf die Sage nach dem Grab Attilas macht.
Alexander Lernet-Holenia, Der Mann im Hut. Phantastischer Roman, München 1978 [EA 1937].
Angebliche Attilagräber werden heute noch – meist zum Zwecke der Tourismuswerbung – zwi-
schen Deutschland und Ungarn an zahlreichen Orten „angeboten“.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463