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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus314
politische Kultur generell abzusprechen, hieße aber, wichtige kulturelle Strömungen
der österreichischen Zwischenkriegszeit, wie beispielsweise die Kulturbewegung des
„Roten Wien“, zu ignorieren. Während sich in Wien – speziell wenn man Massen-
und Populärkultur miteinbezieht – zahlreiche neue Entwicklungen zeigten,4 zogen
sich in jener Zeit aber auch viele KünstlerInnen zurück aufs Land. Wesentliche Im-
pulse der bildenden Kunst der Zwischenkriegszeit gingen von dort aus. Wie bereits
im letzten Kapitel gezeigt, lag eine Ursache dafür im virulenten Stadt-Land-Diskurs
und der zeitgenössischen Großstadtkritik, aber natürlich auch in wirtschaftlichen
Komponenten, die ein Überleben am Land leichter möglich erscheinen ließen. Eine
Avantgarde, wie sie in anderen europäischen Hauptstädten jener Zeit entstand, ent-
wickelte sich in Österreich jedenfalls kaum und der sozialdemokratisch geprägten
politischen Kulturbewegung in den 1920er-Jahren wurde von der Ständestaatdikta-
tur ab 1933 ein Ende gesetzt. Deren „reaktionäre Moderne“5 sowie die Verfemung
jeglicher Moderne bei gleichzeitiger Indoktrinierung so genannter völkischer Kunst
nach der nationalsozialistischen Machtübernahme bildeten die Hintergrundfolie,
vor der sich die KünstlerInnen in den 1930ern zu verorten hatten.
Nicht nur als KünstlerInnen mussten sich die ProtagonistInnen dieser Studie auf
sich permanent verändernde Rahmenbedingungen einstellen, auch als von der Po-
litik betroffene Menschen und StaatsbürgerInnen waren sie vor Herausforderungen
gestellt. Im Folgenden werden anhand von drei chronologisch verorteten Kapiteln –
Monarchie/Erster Weltkrieg, Zwischenkriegszeit, Nationalsozialismus – ihre jeweili-
gen autobiographischen Strategien des Umgangs damit untersucht. Zuvor rekurriert
ein Exkurs auf mentalitätsgeschichtliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen
zum Verhältnis von Kunst und Politik vor 1945.
4 Vgl. Wolfgang Kos (Hg.), Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930. Ausstellungska-
talog Wien-Museum, Wien 2010.
5 Oliver Rathkolb, Die Janusköpfigkeit der ‚reaktionären Moderne‘ in Österreich von 1918 bis 1948.
Anmerkungen zur Debatte um ‚konservative Revolution‘ und ‚entartete Kunst‘, in: Sabine Breit-
wieser (Hg.), Anti:modern. Salzburg inmitten von Europa zwischen Tradition und Erneuerung,
München 2016, 29–46.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463