Seite - 334 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus334
Ansichtskarten machen lassen von mir, ich bitte ihn dringend, diese vorläufig nicht in
Handel zu setzen, weil das meinem [Wort unleserl.] schadet!“70
Nach seiner Aufnahme in das Dragonerregiment stand für Kokoschka die Zeit der
Ausbildung an. In der Autobiographie erwähnt er diese Phase nur mit zwei kurzen
Sätzen:
„Meine Abrichtung in Wiener Neustadt währte einige Monate, denn ich hatte vorher nie
gedient. Die letzten theoretischen und taktischen Übungen für alle Regimenter fanden in
Mährisch-Weißkirchen statt.“71
Die „Abrichtung“ Kokoschkas begann am 3.
Jänner 1915 und wurde – folgt man der
Korrespondenz jener Zeit – von Kokoschka fast ausschließlich negativ erlebt. Schon
der erste Brief aus Wiener Neustadt an Alma Mahler ist datiert mit „1.
Tag des Exils“,
die Beschreibung des neuen Alltags war wenig euphorisch:
„Der erste Tag war warten, warten mit drückendem neuen Kleid, Helm, bis ich Kopf-
schmerzen bekam und nicht mehr mitspielte; nach hause ging, um Dir mein Herz
entgegenzubringen.“72
Am „3. Tag des Exils“ setzten sich die Klagen fort, der schneidige Dragonersoldat
hatte das Problem, erst reiten lernen zu müssen und fühlte sich ganz offensichtlich
keineswegs als vollwertiges Teil des „albernen Affenwerkels“:
„Es hat mir diese wirklich freiwillige Gefangenschaft doppelt verhaßt gemacht. Ich habe
Hunger, weil ich ungern zu einem Tisch gehe, wo Offiziere sitzen, denen ich mich stot-
ternd vorstellen muß, weil ich nie die Chargen und die Phrasen lernen werde, um ein
richtiges Zahnrad in diesem albernen Affenwerkel zu werden. Übermorgen bekomme ich
mein Pferd aus Wien und soll gleich mit einer Abteilung ausrücken. Ich werde immer
herunterfallen, weil ich ja noch nicht reiten kann, […]“73
Kokoschka litt während der Ausbildungszeit in Wiener Neustadt auf mehreren Ebe-
nen: Als freiheitsliebendem Künstler war ihm der Kasernendrill massiv zuwider, als
70 ZBZ, NL O. Kokoschka, Fasz. 31.27, OK an Albert Ehrenstein, o. D.
71 Kokoschka, Mein Leben, 144.
72 OK an Alma Mahler, Wiener Neustadt 3.1.1915, zit. nach Oskar Kokoschka, Briefe I, 190.
73 OK an Alma Mahler, Wiener Neustadt 5.1.1915, zit. nach Oskar Kokoschka, Briefe I, 191.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463