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4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie | 339
Während Fotos Kokoschka in Uniform mit der Medaille an der Brust in stolzer Pose
im Kreise der Familie zeigen, ironisierte er den Erhalt der „großen Silbernen“ gegen-
über seinen Freunden, wie in diesem Brief an Herwarth Walden:
„Meine Blessuren sind mehr dekorativ als lebensgefährlich gewesen. Kopfschuß und
Bruststich. Meine Verlobung aufgelöst, mein Atelier aufgelöst, für alles die große Silberne.
[…] Ich bin neugierig, ob ich das nächste mal tot bin.“ 91
Noch aus dem Reservespital in Brünn hatte er Albert Ehrenstein berichtet, dass ihm
die Lunge wehtue, Ohrenpfeifen und Statik ihm Probleme bereiten würden, Ohr
und Brustloch seien bereits „zu“. Er hatte Sorge schon im Winter wieder an die Front
zurückgeschickt zu werden.92 Etwa Mitte Oktober 1915 wurde er von Brünn in das
Palffy-Spital in Wien verlegt. Dort wurde eine genaue Anamnese seines Zustandes
vorgenommen, die Art der Verwundung lässt sich dadurch genau rekonstruieren.
Der Eintrag im Krankenblatt vom 13. Oktober 1915 lautet:
„Nackenschuß links. Einschuß über dem 5. Halswirbel, Ausschuß link. Gehörgang. […]
Am 29.
Aug. 15 wurde Pat. von feindl. Inftgeschoß im Nacken Ausschuß link. Gehörgang
verletzt. Kurze Bewußtlosigkeit. Dann Verletzg. durch Bajonettstich in die Brust. Blut-
husten. Pat. hat nach der Verletzg. erbrochen. Einige Tage nachher wurde Pat. von Sanitt.
darauf aufmerksam gemacht, daß er convergierend schiele, Kopfschmerzen, Herabsetzg.
d. Hörfähigkeit links, Ohrgeräusch, schrilles Pfeifen. Schwindel von rechts nach links auch
im Liegen. Beim Aufstehen nach circa 4 Wochen bemerkt Patient, daß das linke Bein u.
die linke Hand ‚schwach‘ seien. […]“93
Weitere Befundungen wurden am Palffy-Spital am 18. Oktober 1915 und am 1. Fe-
bruar 1916 vorgenommen. Dabei wurden eine „Verödung des äuss. Gehörganges als
Folgen der Schussverletzung, periodische Schwindelanfälle“ diagnostiziert.94 Nach
Untersuchungen am 7. und 9. März wurde der Krankenurlaub bis 30. April 1916
befristet.95
91 OK an Herwarth Walden [Wien], 27.10. 15, zit. nach Kokoschka, Briefe I, 230
92 OK an Albert Ehrenstein, [Brünn], 10.[10.] 15, zit. nach Kokoschka, Briefe I, 230.
93 ZBZ Zürich, NL Olda Kokoschka E 2004, Karton 05/11/IV/4, Mappe Ärzte 1915–16, Anamnese-
blatt.
94 ÖStA, KA, Kriegspressequartier (KPQ), Karton 34, Fasz. Oskar Kokoschka, Befund Garnisonsspi-
tal Wien 1.2.1916.
95 ZBZ Zürich, NL Olda Kokoschka E 2004, Karton 05/11/IV/4, Mappe Ärzte 1915–16, Anamnese-
blatt.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463