Seite - 352 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus352
Kulturpolitik abgrenzen zu wollen/müssen. Weniger rigid als in der NS-Kunst- und
Kulturpolitik schuf auch der autoritäre Ständestaat neue Institutionen um Kunst und
KünstlerInnen kulturpolitisch zu steuern.138 In der Verfolgung von politisch Opposi-
tionellen, darunter auch sozialdemokratische oder kommunistische Künst lerInnen,
war er aber durchaus rigid. Friedl Dicker beispielsweise, die ihre Ausbildung zunächst
an der Kunstgewerbeschule in Wien (u.a. bei Franz Čižek) und danach am Weimarer
Bauhaus absolviert hatte, wurde 1934 als Kommunistin inhaftiert.139
An mehreren biographischen Beispielen lässt sich zeigen, dass die künstlerische
Ausrichtung nicht immer in Übereinstimmung mit der (kultur-)politischen Orien-
tierung oder Vereinnahmung stehen muss. So war beispielsweise der radikal mo-
derne Komponist Ernst Krenek ein Vertreter des kulturpolitischen Systems des au-
toritären Ständestaat-Regimes,140 und für das kulturkonservative Ständestaatregime
war es möglich – worauf im Folgenden noch ausführlicher eingegangen wird – Os-
kar Kokoschka 1937 offiziell mit einer Ausstellung zu ehren.
Die fünf in dieser Studie betrachteten KünstlerInnen waren wirtschaftlich, poli-
tisch und künstlerisch in den Jahren der Zwischenkriegszeit unterschiedlich positio-
niert und hielten sich in jenen Jahren nicht immer in Österreich auf. Die im Folgen-
den gezeigte Betrachtung der Zwischenkriegszeitjahre nimmt daher verschiedene
Perspektiven auf, die von den Biographien vorgegeben sind. Fokussiert wird zunächst
auf die unmittelbaren Nachkriegsjahre, die Zeit des revolutionären Umbruchs, den
Oskar Kokoschka und Aloys Wach in Deutschland erlebten, und schließlich auf die
Jahre des autoritären „Ständestaats“, in denen eine erste Nagelprobe für selbstdekla-
rierte „unpolitische“ Künstler wie Alfred Kubin anstand, während gleichzeitig vom
nationalsozialistischen Deutschland ausgehend der politisch-ideologische Kampf
gegen ungewollte Kunstformen und KünstlerInnen seinen Anfang nahm.
138 Zur Kulturpolitik des autoritären „Ständestaats“ vgl. Alfred Pfoser/Gerhard Renner, ‚Ein Toter
führt uns an!‘, in: Emmerich Tálos (Hg.), Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur, 1933–1938,
Wien 2005, 338–357; Elisabeth Klamper, Die böse Geistlosigkeit. Die Kulturpolitik des Ständestaa-
tes, in: Jan Tabor (Hg.), Kunst und Diktatur. Architektur, Bildhauerei und Malerei in Österreich,
Deutschland, Italien und der Sowjetunion 1922–1956, Baden 1994, 124–133; Helmut Wohnout, Im
Zeichen des Ständeideals. Bedingungen staatlicher Kulturpolitik im autoritären Österreich 1933–
1938, in: Tabor, Kunst und Diktatur, 134–141; Isabella Ackerl/Rudolf Neck (Hg.), Geistiges Leben
im Österreich der Ersten Republik, Wien 1986.
139 Vgl. Elena Makarova, Friedl Dicker-Brandeis. Ein Leben für Kunst und Lehre. Wien, Weimar, Prag,
Hronov, Theresienstadt, Auschwitz, Wien, München 2000. Die beiden Gemälde „Verhör I“ und
„Verhör II“ von 1934 zeigen die Künstlerin bei Einvernahmen im Zuge ihrer Inhaftierung, auf ei-
nem Bild ist sie dabei verwundet mit blutenden Händen zu sehen. Vgl. die Abbildungen in Bertsch/
Neuwirth, Krieg, 88 f.
140 Vgl. Klamper, Geistlosigkeit, 128.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463