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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus362
Den Expressionismus hatte Wach bei seinem bis zu Kriegsbeginn 1914 dauernden
Aufenthalt in Paris kennengelernt, wo er bedingt durch seine zeitweilige Mittellosig-
keit viel Zeit in so genannten heruntergekommenen Vierteln der Stadt verbracht
hatte. Er fertigte Milieustudien im Stil des Expressionismus und entwickelte wohl
auch ein Sensorium für prekäre soziale Verhältnisse. Zurück in München konnte er
erstmals mit mehreren Ausstellungen als Künstler reüssieren, so in der Neuen Sezes-
sion oder in der Galerie von Hans Goltz, wo er 1916 eine Einzelausstellung erhielt.170
1917 wurde Wach zum Kriegsdienst nach Wien eingezogen, ab 1918 war er bei den
Tiroler Kaiserjägern, nach Kriegsende kehrte er zurück nach München. Laut eigener
Aussage kam Wach dort über seinen Bekannten Egon Wertheimer „in Fühlung mit
den Leuten der sozialen Revolution“. In seiner autobiographischen Niederschrift im
Tagebuch von 1929 schrieb er:
„Durch Egon Wertheimer aus Ranshofen, den ich im letzten Kriegsjahr in Wien, während
meiner Kommandierung kennen lernte, durch Karl Schossleitner (vom Kriegspressequar-
tier) – kam ich nach dem Krieg (in München) in Fühlung mit den Leuten der sozialen
Revolution. E. W. war bei seinem Professor (der Universität) Privatsekretär geworden;
sein Professor war Finanzminister unter Eisner. So kam ich eigentlich durch ihn in das
Fahrwasser, das mich aus München fliehen liess nachher.“171
Egon Wertheimer stammte aus Ranshofen im oberösterreichischen Innviertel.172 Er
war Sohn einer dort ansässigen jüdischen Gutsbesitzerfamilie, den die Teilnahme
am Ersten Weltkrieg politisch stark prägte. Nach Kriegsende engagierte er sich im
Rahmen des Revolutionären Hochschulrates für die linke Räteregierung in Mün-
chen.173 Ob Wach nur durch Wertheimer in Kontakt mit den Räterevolutionären
kam, darf angezweifelt werden. Als in München ansässiger expressionistischer Ma-
170 Vgl. die Ausstellungsübersicht des Künstlers in Oberösterreichische Landesgalerie (Hg.), Aloys
Wach 1892–1940, Linz 1993, 212 ff.
171 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 1.8.1929.
172 Egon Ranshofen-Wertheimer (1894–1957), Jurist und Diplomat. Zu seinem Lebenslauf bzw. der
Geschichte der Familie Wertheimer vgl. Tamara Rachbauer/Manfred Rachbauer, Ranshofen –
Geschichte(n) auf Schritt und Tritt, Norderstedt 2012; Dokumente über Egon Ranshofen-Werthei-
mer. Archiv- und Recherche-Datenbank Tamara und Manfred Rachbauer, abrufbar unter https://
web.archive.org/web/20100818011902/http://www.hrb.at/bzt/doc/zgt/b16/dokumente-werthei-
mer.htm (2.9.2019); Egon Ranshofen-Wertheimer, Die Heimkehr (1946), in: Stillere Heimat (1954),
33–48.
173 Vgl. Wertheimers Darstellung zu seiner Tätigkeit und der ihr zugrundeliegenden politischen Mo-
tivation in einer Verteidigung gegenüber dem Rektorat der Universität München vom Dezember
1919, in: Dokumente über Egon Ranshofen-Wertheimer.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463