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4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ | 365
von seinem künstlerischen Werk, das er der Revolution beisteuerte, ist wenig über
eine darüber hinausgehende politische Agitation Wachs bekannt. Mangels Mitglie-
derlisten des Aktionsausschusses revolutionärer Künstler kann nicht zweifelsfrei
festgestellt werden, ob Wach offizielles Mitglied war, es ist aber angesichts seiner
eigenen Aussagen davon auszugehen.179 Nach der endgültigen Niederschlagung der
Räterepublik Anfang Mai 1919 durch Freikorps und Bundestruppen (zuvor hatte
sich nach dem 13. April die KPD an die Spitze der Räterepublik gestellt) wurde
Gustav Landauer ermordet und mehrere Mitglieder des ARK verhaftet, einigen ge-
lang die Flucht aus München, so auch Wach. An den Kunstjournalisten und Freund
Reinhold Zenz schrieb er am 27. Mai 1919 aus seinem Zufluchtsort in Oberbayern:
„Lieber, sehr geehrter Herr Zenz! Viele und schöne Grüsse zuvor Ihnen und Ihrer Frau
Gemahlin. Eben hat mir meine Frau Ihre Karte mit noch anderer Post aus München zu-
geschickt. Ich bin erst seit 3 Tagen aus Österreich zurück und kam nicht nach München,
da ich von der W. Garde gesucht werde zufolge meiner Tätigkeit beim Revol. Künstler Rat,
der radikal u. modern ist. Es ist schrecklich in München, der Weg180 ist konfisziert u. die
meisten Mitarbeiter desselben sind eingesperrt. Ich bleibe darum besser hier in Weiher,
wo Herr Blume181 ein Gütl hat. Wie lange ich hier verborgen bleiben kann ist ja fraglich,
jedenfalls aber ist es doch sicherer und ich möchte kaum zu Festungshaft auf längere Zeit
verdonnert werden, denn gegen die Intellektuellen wollen die Weissen in München be-
sonders hart vorgehen. [...] Falls Sie gelegentlich schreiben, bitte an Herrn Blume, obige
Adresse! Denn es ist besser, wenn mein Name am Postamt hier nicht aufscheint.“182
Der Aufenthalt in Weiher/Grassau war vermutlich nur von kurzer Dauer, in seinem
autobiographischen Rückblick schreibt Wach davon, die Monate nach seiner Flucht
aus München in seinem Heimatort Lambach verbracht zu haben, bevor er mit seiner
Familie nach Überaggern (heute: Überackern) bei Braunau am Inn übersiedelte:
„Nach der Flucht aus München Monate in Lambach daheim. Freund Ebner aus Tirol,
ein tüchtiger Maler, ehemaliger Offizier der Kaiserjäger, warnte mich brieflich vor der
179 Vgl. den weiter unten zitierten Brief an Reinhold Zenz, 27.5.1919.
180 „Der Weg“ erschien weiterhin regelmäßig (Mai/Juni 1919 als Doppelheft), als Erscheinungsort
wurde weiter München angegeben, laut Joan Weinstein wurde die Zeitschrift aber nach der Nie-
derwerfung der Räterepublik in Berlin herausgegeben. Vgl. Weinstein, Neugestaltung des Kunst-
lebens, 25.
181 Vermutlich Walther Blume, Musiker und Herausgeber der ersten drei Ausgaben (1919, Heft 1–3)
von „Der Weg“.
182 OÖLM, NL Wach, AW an Reinhold Zenz, Weiher, Post Grassau, Ob.Bayern 27.5.1919.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463