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4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ | 375
Während Kokoschka seiner obigen
Aussage nach nicht Mitglied der Vater-
ländischen Front war, findet sich in Alfred
Kubins Nachlass eine Mitgliedskarte. Die-
ser zufolge ist Kubin im Oktober 1936 der
Vaterländischen Front beigetreten und hat
bis Ende 1937 Mitgliedsbeiträge bezahlt.201
Über die Motive für die Mitgliedschaft
kann nur gemutmaßt werden. Ein Grund
war mit großer Wahrscheinlichkeit seine
künstlerische Anerkennung im österrei-
chischen Ständestaat, die genau zu jener
Zeit im Erwachen war, als dem Künstler
im nationalsozialistischen Deutschland
Ablehnung entgegengebracht wurde.
Just 1936, als Kubin in Deutschland zu-
nehmende Schwierigkeiten bekam – die
Ablehnung seiner Mitgliedschaft in der
Reichskulturkammer, das Verbot eines
seiner Werke202 – wurden ihm vom ös-
terreichischen Staat zunehmend Avancen
gemacht. Dies deckt sich mit der bereits
eingangs beschriebenen Strategie der
ständestaatlichen Kulturpolitik, trotz kul-
turkonservativer und antimoderner Linie weitgehende Abgrenzung und Eigenstän-
digkeit vom nationalsozialistischen Kulturregime zu suchen. So teilte Ernst August
(von) Mandelsloh Kubin in einem Brief mit, er habe von einem Jurymitglied er-
fahren, dass Kubin in der engeren Wahl für den Österreichischen Staatspreis ste-
he.203 Dass der politische Hintergrund der Preisanwärter nicht unwesentlich war,
geht aus Mandelslohs Anmerkung ebenfalls hervor: Mandelsloh schrieb, er selbst
sei nach Aussage des besagten Jurymitglieds, das ungenannt bleiben wollte, ebenfalls
ursprünglich auf der Liste gewesen, sei aber als bekannter Nationalsozialist ausge-
201 Kubin-Archiv, Persönliche Dokumente-Nationalsozialismus, Mitgliedskarte Vaterländische Front
Nr. 554559.
202 Vgl. dazu Kapitel 4.4.1.
203 Kubin-Archiv, Ernst August von Mandelsloh an AK, Gmunden 4.1.1936.
Abb. 31: Mitgliedskarte Vaterländische Front
Alfred Kubin
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463