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4.4 Nationalsozialismus | 403
lich formaler Natur, es ging Kokoschka vor
allem um die Plastizität und Raumwir-
kung.281 So bleibt als direkte Aussage nur die
bereits eingangs zitierte Briefstelle an Anna
Kallin, die eine Ahnung vermittelt hinsicht-
lich der persönlichen Bedeutung des Bildes.
Für den Porträtmaler Kokoschka, der in ei-
nem Porträt immer mehr sah als das bloße
äußere Abbild einer Person, ist es von ho-
her Signifikanz, dass er sich der Thematik
seiner Diffamierung über die Gestaltung
eines Selbstporträts näherte.
Tatsächlich sind die folgenden Jahre
der NS-Herrschaft und des Zweiten Welt-
kriegs, die Kokoschka in London ver-
brachte, auch in Bezug auf sein Werk als
die „politischste“ Phase einzustufen. Es
entstanden mehrere Gemälde mit expli-
zit politischem Charakter, wie „Das rote
Ei“ oder „Alice im Wunderland“, das den
„Anschluss“ Österreichs zum Inhalt hat.
Ähnlich wie bei seinem früheren politischen Engagement war es aber Kokoschka
auch diese Lebensphase betreffend wichtig zu betonen, dass er nicht „politisch enga-
giert“ war, wie er in seiner Autobiographie festhielt:
„Ich malte damals eine Reihe von ‚politischen‘ Bildern, nicht weil ich politisch engagiert
gewesen wäre, sondern in der Absicht, die Augen anderer zu öffnen dafür, wie ich den
Krieg sah.“282
Ähnlich wie bei den Ausführungen zu Dresden, wollte Kokoschka mit der Formu-
lierung „nicht politisch engagiert“ auf seine grundsätzliche politische Unabhängig-
keit verweisen, ein politisches Engagement ist ihm wohl keinesfalls abzusprechen.
281 Hoffmann, Kokoschka, 215.
282 Kokoschka, Mein Leben, 250. Ausführlich zu den „politischen“ Bildern Kokoschkas aus der Londo-
ner Phase vgl. Patrick Werkner, In London: Die „politischen“ Bilder Kokoschkas, in: Sultano/Werk-
ner (Hg.), Oskar Kokoschka, 177–212. Selbst äußerte sich Kokoschka rückblickend nur wenig über
seine politischen Bilder, auch nicht gegenüber Remigius Netzer, mit dem er seine Autobiographie
„Mein Leben“ herausgab. Vgl. ZBZ, NL F. Witz, Karton 81, Fasz. 81.13, fol. 16 ff.
Abb. 35: Oskar Kokoschka, Selbstbildnis als
„entarteter“ Künstler, 1937
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463