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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus406
Verbindung zwischen sich, Adolf Hitler und dem Schicksal Österreichs herzustellen
versuchte:
„Manchmal fürchte ich, dass meine Ahnung zurecht besteht: dass mein Horoskop mit
dem Horoskop Österreichs identisch ist. Denn ich selbst habe, wie Österreich, denselben
Aszendenten: 22° Waage! Eine innige Kommunikation der Lebensereignisse ist jedenfalls
vorhanden, das ist mir lange schon aufgefallen!
Österreich: 22° Waage. Adolf Hitler: 21° Waage. Wach: 19°47’ Waage (nach anderem Ho-
roskop 22°).“ 289
Braunau – seinem Wohnort und Adolf Hitlers Geburtsort – wies er in diesem Tage-
bucheintrag eine besondere Bedeutung zu, um schließlich über das Verhältnis von
Politik und Kunst zu räsonieren:
„Eine merkwürdige Rolle spielt Braunau in der Jetztzeit: Adolf Hitler ist hier geboren,
H. v. Hammerstein war hier fast 10 Jahre Bezirkshauptmann und ging nach Linz als Si-
cherheitsdirektor, wo, kurz nach seiner Amtsübernahme, von ihm der Befehl ausging
zum Einsatz der Staatsexekutive gegen den roten Aufstand; 290 von Braunau aus ging die
Gründung der Innviertler Künstlergilde, die fast seit 10 Jahren jene Maximen auf das Pro-
gramm setzte, die dann das dritte Reich als Staatskulturprogramm proklamierte. […] Die
I.K. Gilde ist heute zum Großteil nat.soz. Gesinnung und leidet an dem inneren Kon-
flikt. Die Kunst leidet an den politischen Konflikten umso mehr, als sie zwischen den Ge-
gensätzen zerrieben wird, als zutiefst Leidtragende. Und der Künstler, der zwischen den
feindlichen Lagern existieren und schaffen soll, ist gelähmt und zu schwerstem Brotkampf
verurteilt. Für Kunst und Kultur ist einem solche Zeit schlimm, denn sie hat ja mit Macht
und Parteikämpfen nichts zu tun, ist überparteilich und gehorcht dem inneren Gesetz,
das mit den täglichen Parteistreitigkeiten kleiner Gruppen nichts zu tun haben kann und
haben will.“291
Trotz seines durchaus existenten politischen Engagements vertrat Wach hier das
Bild des Künstlers, der der Politik fern- beziehungsweise über ihr steht. Kunst und
Kultur auf der einen Seite und Politik auf der anderen stünden – so Wach – einander
unverträglich gegenüber, der Künstler leide unter politischen Konflikten und Ein-
289 Aloys Wach, Tagebuchblätter seit 1933, Eintrag 18.2.1934.
290 Hans (von) Hammerstein-Equord (1881–1947), österreichischer Politiker, Beamter und Schrift-
steller, Gründungsmitglied der Innviertler Künstlergilde. Zu seiner Rolle in Bezug auf die Nieder-
schlagung des Februaraufstandes 1934 vgl. Hammerstein, Im Anfang war der Mord.
291 Aloys Wach, Tagebuchblätter seit 1933, Eintrag 18.2.1934.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463