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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus418
Die Bemühungen zur Verhinderung der Dienstverpflichtung dürften erfolgreich
gewesen sein, zumindest ist von einer Arbeitsverpflichtung Bilgers zwischen 1943
und 1945 nichts bekannt. Zu diesem Zeitpunkt war es Bilger bereits gelungen, als
Künstlerin mit ersten kleinen Erfolgen zu reüssieren. Die Entwicklung ihrer Technik
des Holzrisses war ein wichtiger künstlerischer Schritt und durch die Bekanntschaft
mit Kubin hatte sie wichtige Kontakte knüpfen können, beispielsweise zum Münch-
ner Galeristen Günther Franke. In den Jahren 1942 und 1943 war Bilger an einer
Reihe von Ausstellungen beteiligt, nicht nur bei Franke in München, sondern auch
in Wien, Graz und Linz.328
Zur Ausstellungsbeteiligung in Graz liegt eine aufschlussreiche Korrespondenz
vor, die die Künstlerin im Vorfeld mit dem Verantwortlichen, dem Leiter der neuge-
gründeten Neuen Galerie in Graz, Hans Riehl, führte. Riehl bat Bilger offenbar um
einige biographische Erläuterungen. Bilger antwortete, dass sie dazu nichts zu sagen
vermöge, ihre Sprache liege in den Bildern. Das war Riehl offenbar zu wenig, ganz
offensichtlich ging es auch um die politisch-ideologische Einstellung der Künstlerin,
denn sie antwortete am 18. März 1942:
„Sie mögen wohl recht haben dass man schwer einer Arbeit die Gesinnung des Künstlers
ansehen kann, nun ist es bei mir tatsächlich die selbe, ich gestalte was ich bin u. nicht
sonst, u. mein Leben würde eines mit diesem u. würde ich nicht so zurückgezogen leben,
würde ich es nicht können, hätte ich aber die conträren Gesinnungen, würde ich wie mein
Bruder die Consequenzen tragen u. nicht vor Ihnen stehen.“329
Diese Aussage ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich, gleichermaßen kryptisch
wie bemerkenswert offen. Die Erwähnung des Bruders, dessen „bolschewistische“
Haltung in Graz in jedem Fall bekannt war, was Bilger möglicherweise erst unter
diesen Rechtfertigungsdruck brachte, ist in jedem Fall interessant. Nur indirekt gab
sie durch die Aussage zu verstehen, dass sie anderer Gesinnung sei. Offenbar um
Riehl davon nochmals nachhaltig zu überzeugen, unterzeichnete sie diesen Brief mit
„Heil Hitler!“. Bilger übersandte Riehl eine Vorschlagsliste auszustellender Blätter,
wobei sie auch einen Ankauf durch die Neuen Galerie begrüßt hätte. Nicht alles
davon wurde von Riehl goutiert. Er schrieb der Künstlerin am 21. April 1942:
328 Vgl. Neues Wiener Tagblatt, 2.4.1942; Neues Wiener Tagblatt, 10.7.1942; Neues Wiener Tagblatt
17.10.1942; Neues Wiener Tagblatt, 24.6.1943; Innviertler Heimatblatt, 17.12.1943.
329 Neue Galerie Graz, Eisenhutarchiv, Mappe Margret Bilger, MB an Hans Riehl, Taufkirchen
18.3.1942.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Titel
- Zeitwesen
- Untertitel
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Autor
- Birgit Kirchmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463