Page - 112 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Image of the Page - 112 -
Text of the Page - 112 -
II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
112
tung der Bundesbrüder die Schreibhaltung der burschenschaftlichen Frontsoldaten be-
einflusst haben – wie generell solche Einschätzungen auch für die Gedenkpraxis nach
1945 eine wichtige Rolle gespielt haben dürften : Die wechselseitige Vermutung , dass die
jeweils anderen ein Abrücken von den Vorkriegspositionen nicht goutieren würden , mag
die Realisierung etwaig vorhandener selbstkritischer Potenziale hintangehalten haben.
Die Feldpost der Obergermanen lässt jedenfalls wenig Zweifel , dass man mit affirmati-
ven Äußerungen zum Kriege auf allseitiges Einverständnis rechnete , während Regungen
von Zweifel und Widerspruch , falls überhaupt vorhanden , zumindest als unsagbar galten.
Dieser Umstand ist unter den Bedingungen von Krieg und totalitärer Herrschaft
wenig verwunderlich , wenn auch die in den Briefen zum Ausdruck kommende Über-
zeugung und Begeisterung weit über jenes Maß hinauszugehen scheint , das zur Ver-
meidung bundinterner oder anderweitiger Sanktionen erforderlich gewesen wäre. Her-
vorhebenswert erscheint unter dem Gesichtspunkt der Vergangenheitsbewältigung
allerdings , wie ungebrochen und unkritisch die damalige Begeisterung noch 22 Jahre
nach Kriegsende reproduziert wurde. Obwohl die Briefe nicht unkommentiert , sondern
in zeithistorisch kontextualisierter Form wiedergegeben werden , unterbleibt jegliche
distanzierende Anmerkung. Klage wird lediglich über die „unverhältnismäßig hohe( n )
und schwere( n ) Opfer“ geführt , die der Krieg in den eigenen Reihen gefordert habe.304
Offenbar konnte der Autor der Rahmenhandlung auch 1967 noch darauf zählen , mit
einer solchen Darstellung die Zustimmung der Bundesbrüder zu finden , und war auch
in der Zweiten Republik innerbündische soziale Sanktion eher für Kritik an national-
sozialistischer Politik und der burschenschaftlichen Rolle darin zu gewärtigen als für
eine Kriegsberichterstattung im Stile der ‚Deutschen Wochenschau‘.305
Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit
Die Schwierigkeiten von Burschenschaftern aus Österreich , sich in kritische Distanz zu
den Verhältnissen zwischen 1938 und 1945 zu setzen , fand mitunter auch in Äußerun-
gen Ausdruck , die jene Zeit gar nicht zum Gegenstand hatten. So war der Gebrauch
304 Ebd., 123.
305 Die Gestaltung des Chronikteils über die Kriegsjahre trug unzweifelhaft die Handschrift des Man-
nes , in dessen Hände sie gelegt wurde : Franz Mayrhofer war in den Kriegsjahren „für das Schu-
lungsamt der Gauleitung“ tätig gewesen und hatte sich das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse
erworben ( Oberösterreicher Germanen 1967 , 220 ). Die Chronik insgesamt war allerdings das Kol-
lektivwerk eines mehrköpfigen Ausschusses , die inhaltliche Verantwortung trug AH Walter Khünl-
Brady ( vgl. ebd., 4–6 und 193 ). Eine gewisse zusätzliche Repräsentativität verleiht Mayrhofers Zu-
gang der Umstand , dass er nach dem Krieg der Vereinigung alter Burschenschafter Oberösterreich als
Obmann vorsaß , was für seine hohe Akzeptanz ( und nicht etwa Marginalisiertheit ) in burschen-
schaftlichen Kreisen spricht ( ebd., 220 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619