Page - 177 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945

III.3 Burschenschaftliche Erziehung 177 III.3.3 Funktionen und Konsequenzen Aufbauend auf der bisher eher deskriptiven Darstellung burschenschaftlicher Erzie- hungsaktivitäten soll nun erörtert werden , welche im Kontext meines Erkenntnis- interesses relevanten Auswirkungen diese zeitigten bzw. aus Sicht ihrer Protagonisten zeitigen sollten. Diese Unterscheidung von zugeschriebenen Funktionen und tatsäch- lichen Konsequenzen ist insofern angezeigt , als aufgrund der unumgehbaren Verarbei- tung von Lernimpulsen durch das Individuum auch nicht- oder gar contra-intentio- nale Lernergebnisse möglich sind. Als erster Punkt sei die Ausbildung bzw. Verfestigung autoritärer Charakterstruktu- ren aufseiten der Erzogenen ( und begünstigt dadurch : die Verstetigung entsprechender Eigenschaften der Organisation selbst ) genannt. Disziplin und das Zurückstellen eige- ner ( individueller ) Interessen hinter jene des ( völkischen oder bündischen ) Kollektivs , die Achtung von bzw. Gehorsam gegenüber Autoritäten und die Herausbildung einer spezifischen soldatischen Männlichkeit stellen explizite Ziele burschenschaft licher Er- ziehung dar ( vgl. dazu auch Abschnitt III.8 , insbesondere die Unterabschnitte III.8.4 ). Als solche stehen sie jedoch im Spannungsverhältnis nicht nur zum rebellischen Selbst- bild der Burschenschaften , sondern auch zur emphatischen Anrufung des Individu- ums , wie sie burschenschaftlicher Erziehungsprogrammatik gleichfalls zu eigen ist.205 Insoweit burschenschaftliche Erziehung die Ausbildung bzw. Verfestigung autoritärer Charakterstrukturen begünstigt , erhöht sie die Wahrscheinlichkeit , dass die Erzoge- nen sich empfänglich für rechtsextreme Politikangebote zeigen  – zumal wenn parallel zu dieser Charakterbildung einschlägige Werthaltungen und Glaubensinhalte ( spezi- fische Auslegungen von Begriffen wie ‚Volk‘ und ‚Vaterland‘ , ‚revisionistische‘ Narra- tive , Feindbestimmungen usw. ) gleich hinzu verabreicht werden. Wie in den beiden folgenden Abschnitten III.4 und III.5 näher herausgearbeitet wird , zählten Konformismus ( als ‚Geschlossenheit‘ und Generationenharmonie nach innen sowie als Corpsgeist nach außen ) und Konservatismus ( als Kontinuität und ‚Grundsatztreue‘ ) im Untersuchungszeitraum zu den von burschenschaftlichen Mei- nungsführern und der politischen Klasse unter Burschenschaftern erwünschten Erziehungs- zielen  – konnten aber realiter stets nur annäherungsweise erreicht werden. Autoritaris- mus und Dogmatismus im Allgemeinen sowie eine Erziehungsarbeit im Besonderen , die die Individuen gegen äußere Erfahrungen abzuschirmen trachtete , waren für das Burschenschaftswesen in Österreich prägend. Minoritär blieben dagegen Impulse , die Individualität und Ich-Stärke in den Vordergrund stellten und so Debatten , Konflikte und Weiterentwicklung im Inneren sowie , eine entsprechende Bereitschaft der inter- 205 Vgl. dazu Abschnitt III.6.2 bzw. die Ausführungen zum Gegensatz von ‚Bildung‘ als Selbstentwurf und ‚Erziehung‘ als Menschenformung in Unterabschnitt III.3.1.