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III.6 Selbstbild: Gegen-Elite
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Stimmen für eine Ausrichtung an den neuen Gegebenheiten waren nach 1945 im-
mer wieder zu vernehmen , lösten jedoch eher Entrüstung als Veränderung aus und
blieben marginalisiert. Ohnedies zielten sie bis auf seltene Einzelfälle ausschließ-
lich auf pragmatisch-strategische Anpassungen ab , nicht aber auf eine Neudefinition
bzw. Revision inhaltlicher Grundpfeiler. In einigen von den pragmatischen Erwä-
gungen erfassten Bereichen wurden tatsächlich Reformen ergriffen ( Akzeptanz der
österreichischen Eigenstaatlichkeit , Ergänzung des politischen Deutschnationalis-
mus um eine europäische Perspektive , Einhegung des studentischen Brauchtums im
Sinne der Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen für völkisch-politische Betätigung ).
Debattiert wurde v. a. über Themen , die ihre tiefer liegende , hochpolitische Dimen-
sion erst auf den zweiten Blick offenbarten. So deutet etwa die im Zuge dieser De-
batten gängige Sanktionierung unorthodoxer Stimmen – überschießend , wo es um
bloße Brauchtumsfragen ginge – an , dass auf einer parallelen Bedeutungsebene über
die Notwendigkeit von Reform überhaupt verhandelt wurde. Was als Nächstes fol-
gen würde , wäre erst einmal die unbedingte Satisfaktion mit Waffe generell aufge-
geben , waren die beharrenden Kräfte nicht zu erproben interessiert. Die Furcht vor
einer Zersetzung jener Gewissheiten , auf deren Fundament man nach 1945 die Bünde
wieder errichtet hatte , saß offensichtlich tief.
Vor diesem Hintergrund zerschellten letztlich auch beschränkte Reforminitiativen
zumeist an den Werten der Grundsatztreue und Geschlossenheit , die
– mehr als Impe-
rative denn als Ideale gehandhabt
– sich als sehr effektiv erwiesen , innerburschenschaft-
liche Meinungsvielfalt zu beschränken sowie Selbstkritik und Selbstreflexion abzuwehren.
Der Tendenz nach gingen Forderungen nach Reformen von jüngeren und konservative
Gegenreaktionen v. a. von älteren Burschenschaftern aus. Anstatt von einer klaren Front-
stellung zwischen Jung und Alt ist aber von sich permanent rekonfigurierenden , gene-
rationenübergreifenden Bündnissen zwischen Erneuerungswilligen auf der einen und
Traditionalisten auf der anderen Seite auszugehen. Dies gilt auch für das Phänomen des
politischen Extremismus in Burschenschaften. Reformer wie Bewahrer , Junge wie Alte
einte jedoch die selbstauferlegte Rolle als fundamental-oppositionelle Gegen-Elite
– eine
Wahrnehmung , der im nächsten Abschnitt näher nachgegangen wird.
III.6 Selbstbild: Gegen-Elite
Über die Selbstwahrnehmung der Burschenschaften in Österreich allgemein sowie nach
1945 im Speziellen ist im Laufe der bisherigen Ausführungen bereits vieles gesagt worden.
In den folgenden Abschnitten soll nun den Kernelementen burschenschaftlicher Identi-
tät und Mentalität auf den Grund gegangen werden , die burschenschaftliches politisches
Handeln in diesem Zeitraum in maßgeblicher Weise geprägt haben. Diese erblicke ich in
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619