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THEORIE UND METHODE 33
2.1.4 Emotionale Erfahrungen
Eine offene Frage innerhalb der Theorie der Emotionspraktiken ist die nach der
Konkretisierbarkeit beziehungsweise Isolierbarkeit einzelner Emotionen. Einer-
seits richtet sich das Modell, wie die meisten ethnografisch orientierten Ansät-
ze in der Emotionsforschung, gegen eine Reduktion auf vermeintlich isolierbare
Basisemotionen. Paul Ekman hat bereits in den 1970er-Jahren eine Unterschei-
dung in sechs Basisemotionen – Überraschung, Furcht, Wut, Ekel, Traurigkeit
und Fröhlichkeit – vorgeschlagen, die bis heute in verschiedenen Variationen ein-
flussreich ist.96 Fest steht, dass sich ethnografische Perspektiven nicht auf die
Zuordnung von Praktiken zu solchen Basisemotionen oder auch zu Begriffen wie
Liebe, Hass oder Freundschaft reduzieren lassen. Ungeklärt bleibt aber die Frage,
was dann genau mit einer Emotion gemeint ist, die durch eine Emotionspraxis
mobilisiert, kommuniziert, benannt oder reguliert wird. Anders gewendet: In-
wiefern sind Emotionen aus ethnografischer Perspektive überhaupt voneinander
abzugrenzen oder zu spezifizieren?
Zumindest für die Untersuchung von Vergnügen hilft hier der Ansatz des
Philosophen Robert C. Solomon, dessen Ziel zwar eine ethische Erörterung des
Umgangs mit Emotionen ist, der dabei aber auch einige für Ethnografien wei-
terführende Gedanken entwickelt.97 Sein Modell hat, darauf weist auch Scheer
hin,98 bei aller Unterschiedlichkeit Gemeinsamkeiten mit der Theorie der Emo-
tionspraktiken. Zum einen teilt er die Kritik an einem essentialistischen Emoti-
onsbegriff und an der Vorstellung analytisch isolierbarer Basisemotionen. Zum
anderen führt ihn diese Kritik zu einer Konzeptualisierung von Emotionen als
Prozess, wobei er ganz explizit die Vielfalt und Wandelbarkeit dieses Prozesses
betont:
„I will insist that emotions are processes, which by their very nature take time and may in-
deed go on and on. They are not necessarily conscious. They also transform themselves,
in all sorts of ways, into desires and courses of action (marriage and vengeance, for in-
stance) and into other emotions as well. For example, love gives way to jealousy and grief,
and the process of grieving typically includes denial and anger as well as the depressed
feeling we specifically identify as grief. Hatred may well give way to guilt and even self-
loathing. A big problem is our tending to think of an emotion as a discrete psychologi-
cal event, since, after all, we do have singular names for our emotions (‚anger,‘ ‚love,‘
‚jealousy,‘ ‚shame,‘ etc.). An emotion is a complex process that incorporates many dif-
96 | Vgl. Paul Ekman: Universals and Cultural Differences in Facial Expressions of Emo-
tion. In: James Cole (Hg.): Nebraska Symposium on Motivation 19 (1971). Lincoln 1972,
S. 207-282, hier: S. 251-252.
97 | Vgl. Robert C. Solomon: True to Our Feelings. What Our Emotions Are Really Telling
Us. Oxford 2007.
98 | Vgl. Scheer: Are Emotions a Kind of Practice, S. 194.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364