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GEWALT IM
COMPUTERSPIEL248
wohl Single- als auch Multiplayer-Games können Narrative anbieten, allerdings
stehen sie bei ersteren im Vordergrund und verblassen bei letzteren teils zu blo-
ßen Hintergrundszenarien (wie etwa der Antiterror-Krieg in Counter-Strike). Im
Folgenden stehen deshalb Singleplayer-Games im Zentrum oder solche Multi-
player-Games wie The Elder Scrolls Online, die ausgeprägte Narrative anbieten.
Im Fokus steht die Frage, wie Spieler sich in der Widerfahrnis oder Ausübung
ludisch-virtueller Gewalt auf die jeweils angebotenen Narrative beziehen, sich
durch virtuelle Tätigkeiten in sie einschreiben und dadurch im Gegenzug beson-
dere emotionale Erfahrungen machen.
5.1.1 Sich-Einlassen und Sich-Distanzieren
Bevor ich detailliert auf diesen Prozess eingehen kann, gilt es ein mögliches Miss-
verständnis auszuräumen. Die oben zitierte Werbung kommuniziert auch die
seit den 1980er-Jahren bis heute immer wieder heraufbeschworene Vorstellung,
dass man durch das Computerspielen in die angebotenen Narrative voll und ganz
‚eintauchen‘ und sich darin ‚verlieren‘ könne. Während diese Vorstellung in der
Bewerbung von Computerspielen als ein gewünschter Effekt angepriesen wird,
erkennen ComputerspielkritikerInnen darin die Gefahr eines ‚Abtauchens in vir-
tuelle Welten‘. Beide Perspektiven instrumentalisieren letztlich die Vorstellung
einer bestimmten Art des Erlebens von Spielprozessen, wobei sie die empirisch
vorfindbare Wirklichkeit weit verfehlen.
Ein nur flüchtiger Blick auf tatsächliche Spielprozesse in Online-Games oder
die Performances in Let’s Play-Videos zeigt mit aller Deutlichkeit, dass Spieler im
Regelfall nicht vollständig in ihren jeweiligen Avatarkörper ‚eintauchen‘ oder sich
in den Narrativen des Spiels ‚verlieren‘, sei es in positiv oder negativ gedeutetem
Sinne. Empirisch zu beobachten ist vielmehr ein ludischer Umgang mit den Nar-
rativen eines Spiels im Zuge der aktiven, virtuell-körperlichen Teilhabe an ihnen.
Ludisch meint auch hier, dass Spieler die Bedeutungspotenziale bestimmter Tä-
tigkeiten ihres Avatars innerhalb des ihn umgebenden Narrativs mal als bedeu-
tungsvoll aufgreifen und für voll nehmen, sie dann aber auch wieder als bedeu-
tungslos behandeln oder ganz eigenwillig mit ihnen umgehen (vgl. Kap. 2.2.4).
Während die Frage nach der Narrativität des Computerspielens in den theore-
tischen Debatten der Game Studies immer wieder diskutiert wird,3 kommt dieser
für ethnografische Ansätze entscheidende Punkt kaum zur Sprache: Die emoti-
3 | Vgl. stellvertretend Henry Jenkins: Game Design as Narrative Architecture. In: Noah
Wardrip-Fruin/Pat Harrigan (Hg.): First Person. New Media as Story, Performance, and
Game. Cambridge, MA 2004, S. 118-130; Jesper Juul: Games Telling Stories? – A Brief
Note on Games and Narratives. In: Game Studies 1 (2001), H. 1, o.S.; Julian Kücklich: The
Playability of Texts vs. the Readability of Games. Towards a Holistic Theory of Fictionality.
In: Marinka Copier/Joost Raessens (Hg.): Level Up. Digital Games Research Conference
Proceedings. Utrecht 2003, S. 100-107; Martin Sallge: Interaktive Narration im Compu-
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364