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DRAMATISCH UND DEVIANT 265
Die Intention der Gegner zur Ausübung von ungerechter Gewalt reicht, um sie
für schuldig zu befinden und präventive Gegengewalt zu legitimieren. Teils ver-
mischt sich diese präventive mit der reaktiven Form gerechter Gegengewalt: Die
Antagonisten haben Freunde oder Unschuldige getötet und sie planen es wieder
zu tun – deshalb darf und muss die Heldin oder der Held Gegengewalt ausüben.
Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, wollte man die Reichweite der „Rache
im moralischen Gewand“ (s.o.) nur auf die Motivation zur und Legitimation der
Ausübung ludisch-virtueller Gewalt beschränken. Ihre wohl wichtigste Funktion
ist, dass sie als Gegenmaßnahme zur Widerfahrnis ungerechter Gewalt auf die
Schließung einer offenen „Gewaltspirale“ (s.o.) hinarbeitet und genau dadurch
eine eigene Erfahrungsqualität erhält. Durch den narrativen Spannungsbogen
wird die Ausübung von Computerspielgewalt dramatisch aufgeladen und kann
dadurch, pointiert formuliert, bei Erfolg befriedigender sein als in einem narrativ
nicht aufgeladenen Kampf, insofern durch sie Gerechtigkeit ausgeübt wird.
Ein Beispiel: Als Gronkh in GTA5 endlich den Antagonisten Devin Weston
erwischt, der die Familie seines Avatars bedroht hatte, wird dieser in einen Kof-
ferraum gesperrt und das Auto an eine Klippe gerollt (empfohlenes Beispiel).44
Nach einem kurzen Gespräch mit dem Bösewicht, der um sein Leben bangt,
muss man als Spieler selbst das Auto durch Gamepad-Bewegung von der Klippe
rollen. Gronkh lacht fröhlich auf: „Ich bin hier grad am Grinsen wie ein Honigku-
chenpferd.“ Auch Sarazar, der hier neben Gronkh sitzt und beim Spielen zusieht,
lacht und kommentiert: „So gemein! Aber irgendwie hat er’s wirklich verdient.“
Gronkh fügt hörbar lächelnd an: „Natürlich!“, und ergänzt, als das Auto die Klip-
pe runterfliegt: „Uuund Hoppaaa! Hihi!“ Das Auto zerschellt am Boden, explo-
diert, und Gronkh gibt ein zufriedenes „Ahhh“ von sich.
Auch hier ist wichtig zu betonen, dass die zur Sprache kommende besondere
Vergnüglichkeit des Killens aufgrund seiner Funktion als Ausübung von Gerech-
tigkeit möglich, aber nicht zwangsläufig ist. Längst nicht in allen Spielen lassen
sich die Let’s Player so weit auf die Story ein, dass sie diese Momente als besonders
herausragend erfahren beziehungsweise sprachlich dementsprechend markieren.
Es ist jederzeit möglich, ein Actiongame als Aneinanderreihung virtuell-körperli-
cher Herausforderungen zu verstehen und sich von den angebotenen Narrativen
zu distanzieren. Oder wie es der Spieler Kerby im Interview formuliert: „Also ich
sag mal so: Manchmal fühlt man sich mehr ein, manchmal weniger.“ (IV8)
44 | Gronkh: GTA V (GTA 5) [HD+] #107 - Todeswünsche & Todesengel [ENDE] * Let’s
Play GTA 5 (GTA V) (31.12.2013), 53:00-53:35. https://www.youtube.com/embedEY0Y
3lcspj8?start=3180&end=3215
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Title
- Gewalt im Computerspiel
- Subtitle
- Facetten eines Vergnügens
- Author
- Christoph Bareither
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 370
- Keywords
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Category
- Medien
Table of contents
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364