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75Das
Konfessionelle Zeitalter
eigene religiöse Bekenntnis ähnlich wie das Thema Sexualität zu einem Tabu werden
ließen.
Um die angesprochenen Prozesse für Kärnten besser zu verstehen, bedarf es zu-
nächst eines Blickes auf die sozialen Konfliktlinien am Beginn des Konfessionellen
Zeitalters.
2.1 Soziale Konfliktlinien im Konfessionellen Zeitalter
Die allgemeinen sozialgeschichtlichen Umbrüche vom Feudal- zum Territorialstaat
der beginnenden Neuzeit äußerten sich zunächst in der Erosion des herkömmlichen
Ständemodells. Die zunehmende gesellschaftliche Verflechtung und Ausdifferenzie-
rung steigerte die soziale Mobilität und förderte das Gefühl der Ordnungslosigkeit,
des Verlusts alter Gewissheiten. Vom elterlichen Anwesen weichende Bauernkinder
waren in die Städte gezogen und viele davon früher oder später in die Bürgerschicht
aufgestiegen, Bürger ihrerseits drängten in den Adelsstand, und selbst innerhalb des
Adels war es möglich, durch die Besetzung wichtiger Funktionen in der landesfürst-
lichen Verwaltung aufzusteigen.79 Zugleich versuchten sich die einzelnen etablierten
Schichten angesichts dieser »Bedrohungen« dem »Druck von unten« zu verschlie-
ßen – ein soziales Phänomen, das sich auch im Standesdünkel ausdrückt, der in den
innerösterreichischen Herzogtümern Steiermark, Kärnten und Krain besonders aus-
geprägt gewesen sein soll.80
Ein Ausdruck dieser Entwicklungen ist der Ausbau des maximilianischen Beam-
tenapparates, der dem Kärntner Adel »verhasst«81 war. Kaiser Maximilian selbst re-
sidierte meist in Innsbruck oder Nürnberg, der Kärntner Adel war also »die langen
Zügel gewohnt«. Im Unterschied zu Kärnten war in den Gebieten des heutigen
Westösterreich die Wirtschaftslage besser – man blieb von den Türken und Un-
garn weitgehend verschont und konnte auf reiche Bodenschätze zurückgreifen –,
der Adel jedoch schwächer. So konnte man in Kärnten gegen die einschränken-
den Entwicklungen des Beamtenstaates opponieren und sich auch länger als in
79 Als Paradebeispiele für derlei Entwicklungen wird zum einen immer wieder die Familie Khevenhüller
genannt, deren Aufstieg vom bürgerlichen Patriziat in den Hochadel der Historiker Wilhelm Neu-
mann detailreich geschildert hat – Neumann, W.: Zur Frühgeschichte (1985), 120–169 –, zum anderen
der aus dem niederen adeligen Ritterstand stammende Siegmund von Dietrichstein, der im ersten
Drittel des 16. Jahrhunderts zum Landeshauptmann der Steiermark und einflussreichen Grundherren
in Kärnten aufgestiegen war. Zeloth, T.: Gesellschaft Kärntens (2011), 21.
80 Ebd. 20 f. Generell wurde die neu entstehende Beamtenschicht aus dem sozial aufsteigenden »inferi-
oren« Bildungsbürgertum als »Juristen und Doktoren« vom Adel abgelehnt. Fräss-Ehrfeld, C.: Die
ständische Epoche (1994), 28–30.
81 Ebd., 30 f., hier 120.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353