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Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat«
1 Hinführung
Sofern es gelungen ist, in den vorangegangenen Ausführungen die langfristigen
Wechselwirkungen zwischen dem Kärntner Habitus und der Wahrnehmung der ka-
tholischen Kirche in Kärnten in groben Zügen zu skizzieren, lässt sich nun ein de-
tailreicheres Bild über die Auswirkungen jener habituellen Prägungen für die Ereig-
nisse in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung gewinnen. Wenn
die bisherigen Überlegungen stimmen, kann die ambivalente Stellung der Kirche in
diesem Land als ein wichtiger Mosaikstein im vielschichtigen Zusammenspiel histo-
rischer Zufälligkeiten und Verflechtungen dienen, um den Sonderfall Kärnten, der
nun im sogenannten »Christlichen Ständestaat« immer deutlichere Konturen erhält,
besser verstehen zu können. In gewisser Weise stellen die Ereignisse des »Christli-
chen Ständestaates« nicht nur das Vorspiel zur nationalsozialistischen Terrorherr-
schaft dar, sondern, im mentalitätsgeschichtlichen Sinn, auch die Kumulation ver-
gangener Jahrhunderte. »Zu den selten direkt ausgesprochenen, aber umso heftiger
empfundenen Kärntner Opfermythen gehört die Vorstellung, dass Kärnten nie so
verfolgt und unterdrückt wurde wie zu Zeiten des Ständestaates 1933 bis 1938.«1
Auch wenn der Begriff einer »neuen Gegenreformation« für diese Epoche prob-
lematisiert worden ist,2 scheint es doch, dass die neuerliche Liaison von Staat und
Kirche bei vielen Kärntnern und Kärntnerinnen jenes Widerstandspotential aktiviert
hat, das aus den bedrückenden, im kollektiven Gedächtnis über Generationen ver-
innerlichten Erfahrungen mit Herrschaft und Obrigkeit vorangegangener Jahrhun-
derte hervorgegangen war. Die noch allseits »frischen« Eindrücke des Abwehrkamp-
fes und der »Pfaffenhetze« sowie die politische und wirtschaftliche Destabilisierung
der 1920er Jahre mögen das Ihre dazu beigetragen haben. Einem Regime, dessen
Eliten in Wien agierten und dessen Gesellschafts-, Kultur- und Schulpolitik von
jenem »katholischen Mief« (Ernst Hanisch) penetriert war, der unweigerlich nach
1 Rumpler, H.: Dammbruch (1989), 45.
2 Der Begriff wurde sowohl von den Eliten des Ständestaates als auch von deren Gegnern gebraucht.
Vgl. die in der Schweiz dazu erschienene, einschlägige zeitgenössische Publikation Aebi, K. (Hg.) : Die
Gegenreformation (1936). Siehe dazu die unterschiedlichen Bewertungen des Begriffes der Gegenre-
formation bei Schwarz, K. W.: Johannes Heinzelmann (2014), 690 und Klieber, R.: Eine Gegenrefor-
mation (2002), 321 sowie bei Blaschke, O.: Der »Dämon« (2002), 32.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353