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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«184
2.3.2 Zur Einflussnahme der Kirche auf staatliche Behörden
Die Wahrnehmung der Kirche als disziplinierender, verlängerter Arm der Regierung
hat seine Entsprechung in den realen Verhältnissen, wenn man die Kritik an den
staatlichen Behörden und die vielfach versuchte Einflussnahme auf diese seitens der
Geistlichen in den Blick nimmt. So wurde in »einem Falle […] die Gendarmerie,
die solches [protestantisches Propaganda-]Material in die Hände bekam, durch das
Pfarramt Salvator ersucht, selbes an die Bez. Hauptmannschaft in St. Veit unter Vor-
lage des Materials zu melden.«231
In einem anderen Fall bat der Pfarrer im Kampf gegen den Theißenegger Trafikan-
ten R. T., der »seit Aufleben der nationalsoz. Bewegung mit führend hier tätig [ist]«,
das Ordinariat sogar, politisch zu intervenieren. »Hätte T. die Trafik nicht mehr, so
wäre er gezwungen von hier zu gehen, was das einzig Gute wäre. […] Im Interesse
der Seelsorge bittet Unterzeichneter […] um Hilfe in dieser Angelegenheit.«232
Die Einschaltung der Behörden wurde immer wieder als dringliche Forderung
an das Ordinariat gestellt. Aus vielen dieser Schreiben spricht die Hilflosigkeit der
Pfarrer angesichts der Geschehnisse.
Wenn die Behörde nicht eingreift, werden wir Abfälle erleben im Tale, dass es ein Grauen
wird, denn bei den protest. Gottesdiensten sind stets eine Menge von Bauernburschen aus
dem Tale zu sehen. Vielleicht wird das hochwürdigste Fbg. Ordinariat in der Sache aber
doch vorstellig bei der B.H. in St. Veit oder bei der Sicherheitsdirektion, denn wir sind ja
wehrlos u. ein Zureden nützt nicht.233
Die Kleriker forderten die Einschaltung unterschiedlicher Behörden, von der Gen-
darmerie über die Bezirkshauptmannschaft bis hin zur Sicherheitsdirektion234 und
sogar zum Bundeskanzleramt. Die Einschaltung höherer Ebenen sollte offensicht-
lich deshalb erfolgen, weil man den örtlichen Behörden selbst nicht richtig traute.
Zahlreiche Beschwerden, vor allem über die Arbeit in den Bezirkshauptmannschaf-
ten, konnten in den Unterlagen gefunden werden. Folgender Zwischenfall gab etwa
dem Pfarrer in Greifenburg Anlass, an der Kooperationsbereitschaft der Bezirks-
hauptmannschaft zu zweifeln :
231 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanatsamt Friesach (03.06.1934).
232 Millechner, H.: Abfall vom Glauben Theißenegg (01.07.1935).
233 Neuwirther, F.: Abfalls-Ausweis pro Mai 1935 Dekanatsamt Friesach (09.06.1935).
234 »Ob nicht der Sicherheitsdirektor von Amtswegen aufgefordert werden müßte, dem Treiben ein
Ende zu machen ?« Streiner, B.: Abfallsbewegung Dekanat Wolfsberg (28.04.1935).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353