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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten60
sind oder ob sie der Lebenswelt widersprechen. Das betrifft vor allem das bestehende
Hierarchieverständnis, den Umgang mit Sexualität und den Magieglauben, wie er
besonders im agrarisch-ländlichen Bereich weit verbreitet war.5 Bei der Ausbreitung
von Religionen werden aber nicht nur vorhandene religiöse Formen überlagert und
teilweise adaptiert, was sich bspw. im christlichen Festkalender oder im ländlichen
Brauchtum widerspiegelt, sondern auch die vorherrschenden sozialen Codes, Um-
gangsformen und Autoritätsvorstellungen integriert. »Die Religion nimmt also die
charakteristischen Formen des sozialen Lebens und der gesellschaftlichen Ordnung
in sich auf und gibt ihnen zugleich eine religiöse Legitimation.«6
Im Hinblick auf die europäische Christianisierung entschieden strukturelle Un-
terschiede oder Ähnlichkeiten der christlichen Forderungen mit den Kulturen und
Ethiken der missionierten Bevölkerungsgruppen über Akzeptanz oder Widerstand.
Höllinger nennt dafür als Beispiele die Kelten, die mit ihren Druiden eine mönchs-
ähnliche Priesterklasse hatten, während es bei den Germanen keine spezialisierte
religiöse Expertenschicht gab. Hier war die weltliche Oberschicht zugleich für den
religiösen Kult zuständig. Auch im moralisch-sittlichen Leben traf das Christentum
auf unterschiedliche Voraussetzungen – während in den Mittelmeerkulturen, aber
auch in den keltischen Gesellschaften das Virginitätsgebot der christlichen Forde-
rung von vorehelicher Enthaltsamkeit entgegenkam, wurde diese sittlich-religiöse
Forderung in den germanischen Stammeskulturen als lebensfremd erfahren.7
In Kärnten waren es slawische Siedler, die ab der Mitte des 8. Jahrhunderts syste-
matisch missioniert wurden. Auch hier lassen sich Konfliktlinien beobachten.
1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten
Nachdem erste, kleine christliche Gemeinden schon im 4., jedenfalls aber im 5. Jahr-
hundert bestanden haben,8 dürfte die spätantike kirchliche Organisation in Kärnten
im Zuge der Völkerwanderungszeit mit dem Vordringen der Slawen ins Gail- und
Drautal sowie der Awaren im Osten weitgehend, wenn auch keineswegs vollständig,
ihr Ende gefunden haben.9
5 Höllinger, F.: Volksreligion und Herrschaftskirche (1996), 19 f.
6 Ebd., 119 f, hier 119.
7 Ebd., 127 f.
8 Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 17 f.; Glaser, F.: Frühchristliche Denkmäler (1996).
9 Die ältere Forschungsmeinung, die ein Überdauern christlicher Traditionen in Zeiten der Völkerwan-
derung bestenfalls für einzelne, entlegene Gebirgsdörfer vermutete – vgl. bspw. Fräss-Ehrfeld, C.: Das
Mittelalter (1984), 46 –, hat man mit den Ausgrabungen einer Klosterkirche in Molzbichl bei Spittal an
der Drau widerlegt. Die dort gefundene Inschriftenplatte des Reliquiengrabs eines heiligen Nonnosus
legt nahe, dass »der Kult eines christlichen Heiligen […] in der Zeit der heidnischen Slawen bekannt
geblieben sein muss, dass also das Christentum an einzelnen – gar nicht so abgelegenen – Orten über-
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353