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293Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Protagonistinnen in ihrer Provinzialität, ihren Abgründen und Niederträchtigkeiten,
letztendlich aber im Ringen nach Erlösung ausgeleuchtet wird.
2.5.3 Franzosen und Kärntner in Dolores Viesèrs Roman Nachtquartier (1971)
Der Roman Nachtquartier (1971) ist im Kärnten der Franzosenzeit angesiedelt und
erzählt die tragische Geschichte des Ehepaars Gertraud und Leopold Rabensteiner.
Der erste Teil des Buches handelt von der geheimen Liebesaffäre Gertrauds mit ei-
nem französischen Lieutenant, in die die unglückliche Frau aus der Tristesse ihrer
Ehe mit dem autoritären und berechnenden Leopold zu fliehen versucht. Gertraud
wird schwanger und gebiert eine Tochter. Leopold erfährt vom Betrug und rächt
sich. Just in jener Nacht, in der die französische Besatzungseinheit aus dem Dorf
abgezogen wird, zieht ein schweres Unwetter auf und Leopold stößt seine untreue
Ehefrau von einer Brücke in die reißenden Fluten. Erfolgreich kann er den Mord
als Unglück kaschieren und das Ansehen der gesamten Familie retten – die seelische
Belastung seiner Tat verfolgt ihn aber bis in die tiefsten Träume.
Der zweite Teil erzählt von den nun einsetzenden Erbstreitigkeiten. Gertraud
stammt von einem wohlhabenden Gutshof und hatte nach dem Tod des Vaters mit
Leopold gemeinsam die überaus üppige Hinterlassenschaft für den abtrünnigen Bru-
der verwaltet. Als dieser nach einem Gefängnisaufenthalt zurückkehrt, entbrennt der
Kampf ums Erbe und um Marie Theres, die adelige Jugendliebe des Heimgekehrten,
deren Hand nun auch Leopold begehrt. Ein heimtückisches Spiel aus Intrigen und
Berechnung beginnt, an dessen Ende Leopold den Schwager vertrieben, die wieder-
aufgekeimte Jugendliebe zerstört und an Besitz so ziemlich alles an sich gerissen hat.
Drei Begegnungen im Schlusskapitel – mit einem frommen Juden, einem verhärte-
ten Buben und dem erhängten Liebhaber seiner Mutter – lassen in ihm jedoch tiefe
Reue und Verzweiflung aufschwellen. Erneut bricht ein Unwetter auf und Leopold
stürzt sich selbst von der Brücke in die reißenden Fluten.
Anders als Hemma von Gurk ist Nachtquartier ein durch und durch düsteres Buch.
Obwohl der Roman mit der Franzosenzeit einen historischen Rahmen erhält, spielen
Land und Geschichte eine untergeordnete Rolle und dienen bestenfalls als dramati-
sierende Kulisse. Eine nähere Ortsangabe lässt sich durch die Mischung von fiktiven
und realen Ortsnamen nur erahnen – es muss sich um die Heimatgegend der Autorin
zwischen St.Veit an der Glan, Althofen und Hüttenberg handeln, Nebenschauplätze
sind Klagenfurt und das Zollfeld. Aber Natur und Heimat sind keineswegs mehr die
zentralen Bezugspunkte, wie sie es noch in den historischen Romanen der Zwischen-
kriegszeit waren. Anstelle der schillernden Gestalt der Hemma von Gurk ist es nun
der grobschlächtige Leopold, der den Typus des patrimonialen Gnadenherrschers
verkörpert, dessen Gnade aber nur so weit reicht, wie es Eigennutz und Besitzstre-
ben erfordern. Sein Handeln findet seine Entsprechung in der Intriganz der Kell-
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353