Page - 202 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Image of the Page - 202 -
Text of the Page - 202 -
Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«202
Gestern, 2. Juni, hielt der gleiche Pastor wieder eine Sitzung ab im Gasthause S. in Met-
nitz. Dass dadurch noch mehr Unruhe unter die Bevölkerung kommt, ist klar. Und deshalb
ersuche ich als Seelsorger Euer Gnaden recht inständig, uns behilflich zu sein, dass diese
Umtriebe womöglich ganz aufhören.319
Die Verbreitung der Sympathie für den Protestantismus als echte Alternative zur
katholischen Kirche beruhte also auch darauf, den Nerv der Zeit zu treffen und die
Menschen »abzuholen«. Dieser Nerv reichte zweifellos besonders tief in jene Be-
reiche des menschlichen Alltags, in denen es um das wirtschaftliche Überleben ging.
Die 1930er Jahre und ihre politischen Auswüchse waren stark geprägt von der Welt-
wirtschaftskrise 1929 und den überaus hohen Arbeitslosenzahlen, die ihr folgten.
Folgerichtig konnte man in Zeiten wirtschaftlicher Not auch durch materielle und
finanzielle Unterstützung Sympathien gewinnen, was die katholischen Berichtenden
den evangelischen Akteuren und Akteurinnen durchaus übel nahmen.
2.5.3 Zur Rolle finanzieller Unterstützungen durch die evangelische Kirche
Zweifelsohne ist die Verbreitung protestantischen und deutschnationalen Gedan-
kenguts über Kontakte ins Ausland forciert worden – sei es über den Tourismus,
der »Reichsdeutsche« nach Kärnten brachte,320 über (freiwillige oder erzwungene)
Auslandsaufenthalte, in denen Kärntner und Kärntnerinnen in Deutschland mit der
Lehre Luthers in Kontakt kamen,321 oder schließlich, wie oben geschildert, über die
Kontakte des protestantischen Geistlichen.
Die Einflussnahme des Letzteren wurde von den katholischen Berichterstattern
auch über den finanziellen Aspekt wahrgenommen, »denn die Protestanten bekom-
men von der Schweiz und Holland große Unterstützungen, weil sie ja in Österreich
verfolgt werden !«322 Aber es wurde, so liest man aus den Schilderungen der Kärnt-
ner Pfarrer, nicht nur die Institution der evangelischen Kirche mit Geld von außen
unterstützt, sondern auch den Austrittswilligen selbst ein finanzieller Anreiz für den
Konfessionswechsel geboten. »Einzelne von den Abgefallenen sind direkt gekauft
mit Geld von Außen durch den Pastor, obwohl sie auch von kath. Seite Unterstüt-
zungen erhielten.«323
319 Leitner, J.: Apostasie Pfarre Grades (03.06.1934).
320 Rumpler, H.: Dammbruch (1989), 22.
321 »In Lavamünd ist bis jetzt leider schon ein Abfall zu verzeichnen, ein Wirtssohn, dessen Vater zwar
nicht ausgetreten, aber faktisch Atheist ist. Um die Gründe befragt, meinte er, er habe mit Deutsch-
land die Lehre Luthers kennengelernt u. sie gefalle ihm ganz gut u. ݟbrigens werde ich bald heiraten
…‹« Oberguggenberger, L.: Abfallsbewegung Pfarre Lavamünd (August 1933).
322 Habernig, J.: Apostasie Stadtpfarre Spittal (20.02.1936).
323 Neuwirther, F.: Apostasie-Ausweis pro Oktober 1934 Stadtpfarramt Friesach (05.11.1934).
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353