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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten114
heit wandelte«276. So begannen zur Mitte des 19. Jahrhunderts junge slowenischspra-
chige Geistliche im bewussten Widerstand zur staatlichen (und kirchlich geduldeten)
Sprachpolitik, sich auch für den vermehrten Einsatz der slowenischen Sprache in den
Kärntner Schulen einzusetzen, beispielhaft dafür sind Andreas Sereinig, Pfarrer von
Sternberg, oder der Eberndorfer Propst Adam Melchior zu nennen.277 Den einfluss-
reichsten Platz in der Kärntner Kirchengeschichte jener Epoche nimmt aber zwei-
fellos Anton Martin Slomšek (1800–1862) ein, der zunächst als Spiritual am Pries-
terseminar wirkte, bevor er als Bischof von Lavant zum bedeutendsten geistlichen
Förderer des slowenischen Nationalbewusstseins wurde.278 Als Schulaufseher für die
Diözese Lavant widersetzte er sich der Bevorzugung des Deutschen als Schulsprache
und stellte das Slowenische als Unterrichtssprache dem Deutschen gleich.279 Slomšek
»verband die nationalen Traditionen der slowenischen Bevölkerung mit konservativ-
klerikalen Elementen und versuchte durch die Gründung des Hermagoras-Vereins
die fortschreitende Germanisierung der Kärntner Slowenen aufzuhalten.«280
Die von Slomšek initiierte Hermagoras-Bruderschaft lieferte einen weiteren wesent-
lichen Impuls für ein slowenisches Nationalbewusstsein. Die Rolle der katholischen
Ortsgeistlichen ist in diesem Kontext kaum zu überschätzen. Die durch sie unter das
Volk gebrachte katholische Literatur schwor die slowenischsprachige Bevölkerung auf
»Glaube, Heimat und Kaiser« ein. Diese Positionierung führte unweigerlich zu antikle-
rikalen Attitüden innerhalb der deutschnational gesinnten Kärntner Bevölkerung.
3.3.2 Deutschnationalismus und Antiklerikalismus in Kärnten
Bis etwa 1880 waren Deutschnationalismus und Deutschliberalismus281 in etwa be-
deutungsgleich, Nation und Freiheit unter der deutschen Leitkultur von gemein-
samem Interesse. Dann emanzipierte sich das Ideal der Nation von einem »alters-
schwachen und korruptionsbehafteten Liberalismus«, ethnische Idealvorstellungen
wurden bald zu einer fanatischen Rassenideologie ausgebaut.282
276 Baum, W.: Urban Jarnik (2002), 176.
277 Domej, T.: Sprachpolitik und Schule (2002), 118 ; 126–130.
278 Vgl. dazu die umfangreiche Biographie Till, J.: Bildung und Emanzipation (2012).
279 Domej, T.: Sprachpolitik und Schule (2002), 155.
280 Baum, W.: Urban Jarnik (2002), 194.
281 Liberalismus als Schlagwort der politischen Bewegung des 19. Jahrhunderts war freilich nicht von
jenen Anliegen getragen, die man heute am ehesten als »gesellschaftsliberal« bezeichnen und ge-
meinhin dem politisch linken Spektrum zuordnen würde. Freiheit im damaligen Sinne »konnte sich
nur gegen den absolutistischen Staat und die autoritäre Kirche durchsetzen. Das gab von Anfang an
und mit Notwendigkeit dem Liberalismus eine antiklerikale Stoßrichtung.« Hanisch, E.: Antiklerika-
lismus (1999), 13.
282 Ebd., 14.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353