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79Das
Konfessionelle Zeitalter
bei zufriedenstellender Bewirtschaftung keinerlei Einspruchsrecht. Nur in einigen
Gegenden Oberkärntens etablierte sich schon früh ein »Kaufrecht«, das also den
Bauern sozial besserstellte – interessanterweise in den späteren evangelischen und
deutschnationalen Zentren bei Villach, im Gegendtal, um Feldkirchen, um den Mill-
stättersee und teilweise auch im oberen Gurktal. Diese Bauern durften hier ihren
Hof vererben und verkaufen.95
Die Bauernunruhen zu Beginn des Konfessionellen Zeitalters resultierten aus der
Einsicht, dass die Grundherren aus Kirche und Adel im Zuge der Bedrohung durch
Osmanen und Ungarn dem im »alten Recht« verbürgten Gesellschaftsvertrag, der
sie zu Schutz und Hilfe den Untertanen gegenüber verpflichtete, nicht nachkamen.
Nachdem der selbstorganisierte Widerstand, der sich nicht nur gegen die feindli-
chen Truppen, sondern bald gegen die eigenen Obrigkeiten richtete, blutig nie-
dergeschlagen wurde, verschärfte sich der Hass gegen die kirchlichen und adeligen
Grundbesitzer. Schließlich aber war es zu Beginn des 16. Jahrhunderts die finanzielle
Ausbeutung durch die Grundherren, die zu den Bauernaufständen von 1515 und
1525 führten – wobei die Niederschlagung der Aufstände von 1515 in einigen Ge-
bieten »so blutig [war], daß sich diese Gegenden beim großen Bauernkrieg von 1525
nicht mehr erhoben.«96
Im Kontext der deutschen Reformation vermischten sich die sozialen Anliegen der
Bauernaufstände bekanntlich mit religiösen Forderungen. Mit dem Bauernaufstand
1525 kamen reformatorische Ideen auch über die Tauern nach Kärnten. Sie forder-
ten das reine Evangelium, das den Untertanen bislang von der hohen Geistlichkeit
aus Eigennutz vorenthalten oder verfälscht weitergegeben worden sei, und die freie
Wahl der Pfarrer in den Gemeinden.97 Die überaus hohe Attraktivität, die das re-
formatorische Gedankengut in Kärnten besaß, ist eine Folgewirkung der bislang be-
schriebenen Entwicklungs- und Konfliktlinien. Mit seiner Ausbreitung erhält auch
die Habitusformung einen bedeutenden Schub.
2.2 Die Reformation in Kärnten
Auch wenn die Quellenlage zu den Anfangsjahren der Reformation in Kärnten nicht
ideal ist, kann man davon ausgehen, dass die grundlegenden Vorgänge jenen in den
anderen innerösterreichischen Ländern bzw. habsburgischen Erbländern ähnelten.
Wie dort waren auch in Kärnten die Städte und Bergbaugegenden erste Rezeptoren
der neuen Lehre.98 Verkehrsknotenpunkte boten günstige Voraussetzungen für den
95 Ebd., 145.
96 Ebd., 148–150, hier 150.
97 Leeb, R.: Die Reformation (2011), 87.
98 Leeb, R.: Reformation (2000), 205.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353