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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis334
1939 mit dem Mozartpreis, den er gemeinsam mit dem Dichter Hans Kloepfer an
der Universität Graz verliehen bekam.436 Lobissers Ergebenheit gegenüber den Na-
tionalsozialisten war aber nicht bloß Kalkül oder oberflächliche Fassade, wie fol-
gende Anmerkung zeigt : »Die Feierlichkeiten im Haus der deutschen Kunst sind
rot angestrichen in meinem Kalender. Da kann ich den Führer sehen und reden
hören von ganz nahe und dann meine Augen weiden lassen an den Herrlichkeiten
des Festzuges.«437 In der Erinnerungstradition an Lobisser selbst ist die nationalso-
zialistische Gesinnung des Künstlers jedoch immer wieder relativiert worden.
2.7.5 Lobisser und das kollektive Gedächtnis Kärntens
Wie können nun diese Erörterungen im Blick auf Lobissers Person und einen Kärnt-
ner Habitus eingeordnet werden ? Lobissers politische Entwicklung vollzog sich al-
les in allem sehr zaghaft. Kann man ihm für seine frühen Jahre durchaus politisches
Desinteresse attestieren, vollzieht sich seine Politisierung in den 1930er Jahren vor
allem im Zuge seines Klosteraustritts und der Verweigerung eines Begräbnisses für
Ev seitens der Kirche. Dem klerikal gestützten Dollfuß-Schuschnigg-Regime konnte
er folgerichtig wenig abgewinnen.
Im Nationalsozialismus sah Lobisser hingegen die Verherrlichung der Heimat,
die Verbundenheit zu Blut und Boden, die zerfurchten Hände eines arbeitsamen
Lebens als Bergbauer, die aufopfernde Fürsorge eines alten Mütterleins, kurzum die
politische Umsetzung seines Kunstprogramms. Was Lobisser vermutlich nicht sah
oder sehen wollte, war das unsägliche Leid, das die Barbarei der Nazis an jenen ver-
übte, die sie nicht zu »ihrem« Blut und Boden zählten.
In der Wirkungsgeschichte Lobissers wurde dieser Aspekt jedoch verdrängt. Der
Historiker Gerhard Kleinhenn erwähnt in seiner Dissertation über Switbert Lobis-
ser diesbezüglich eine bemerkenswerte Erfahrung : »Neun von zehn Befragten – es
spielt dabei keine Rolle, ob die Gesprächspartner Lobisser selbst gekannt hatten
oder ob die geäußerte Meinung innerhalb der Familie tradiert wurde – [haben] aufs
heftigste bestritten, daß der Künstler überzeugter Nationalsozialist war.«438
Erst seit der Freilegung der Lobisserfresken im Klagenfurter Landhaus im Jahr
2000 ist die Person Lobisser zumindest öffentlich stark umstritten. Es handelt sich
dabei um die oben erwähnten Fresken zur Kärntner Volksabstimmung aus dem Jahr
1928, die Lobisser 1938 im Auftrag des Reichsinnenministers Frick mit entsprechen-
dem Nazi-Propagandamaterial erweitert hatte (vgl. Abb. 21).
436 Aichbichler, O.: Suitbert Lobisser (1941), 25 f. Vgl. dazu auch das im Gedenken an den Preisträger 1944 von
der Karl-Franzens-Universität Graz gewidmete Holzschnittverzeichnis Lobisser, S.: Holzschnitte (1947).
437 Lobisser, S.: Das Lobisserbuch (1941), 128.
438 Kleinhenn, G.: Switbert Lobisser (1996a), 181, H. i. O.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353