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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«130
dem (Re-)Katholisierungszwang vergangener Epochen roch, konnte man in Kärnten
keine sonderlichen Sympathien entgegenbringen. »Das betont katholische stände-
staatliche Regime […] fand in Kärnten, einem Land mit einer starken Sozialdemo-
kratie, einer tief verwurzelten deutschliberalen antiklerikalen Tradition und einem
hohen protestantischen Bevölkerungsanteil nur sehr beschränkte Zustimmung.«3
Dabei war es für die Kärntner und Kärntnerinnen offenbar nur wenig überzeugend,
den jungen Staat als »besseres Deutschland« aufbauen zu wollen, ja selbst die Anbie-
derung an die völkische Blut-und-Boden-Ideologie und die Forcierung des Heimat-
begriffes4 nahm man den »Schwarzen« in Wien nicht ab.
Die kirchlichen Akteure jener Zeit wussten sehr wohl um den schwierigen Boden,
den dieses Regime in Kärnten vorfinden würde. So soll der Gurker Bischof Hefter
einmal bemerkt haben :
Die Bischöfe Waitz und Gföllner haben leicht reden und können es sich leisten, energisch
gegen den Nationalsozialismus in ihren Diözesen aufzutreten, da die religiösen Verhält-
nisse in Tirol und Oberösterreich doch ganz anders sind als in Kärnten, wo die Gefahr des
Abfalles eine ungeheure ist !5
Tatsächlich stand Apostasie – wie man kirchlicherseits den »Abfall vom Glauben«
und damit den Kirchenaustritt bezeichnet – in den 1930er Jahren in Kärnten vielfach
deutlich im Zusammenhang mit Sympathie für die nationalsozialistische Bewegung.
Einblicke in entsprechendes, unveröffentlichtes Archivmaterial sollen diesen Zusam-
menhang illustrieren, vor allem aber sollen sie einen exemplarischen Eindruck von
den mentalitätsgeschichtlichen Untiefen des alltäglichen Mit- und Gegeneinanders
von Seelsorgern und Pfarrbevölkerung in dieser spannungsgeladenen Zeit geben. Ihr
ist das umfangreichste Kapitel dieses zweiten Hauptteiles gewidmet.
Vorbereitend dazu sollen in den nun folgenden Kapiteln zunächst die politischen,
kirchlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jener Zeit in Österreich ge-
nerell und in Kärnten speziell erörtert werden, um die konkreten Zielsetzungen des
»Christlichen Ständestaates« und seiner Hauptprotagonisten ins Blickfeld zu rücken.
1.1 Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen
Das christlich-soziale Lager während der Ersten Republik war nicht homogen. Die
christlich-soziale Richtung einerseits verstand sich als katholisch, österreichisch und
deutsch, die sich unter der Leitfigur Ignaz Seipel in entsprechenden Massenorgani-
3 Wadl, W./Ogris, A. (Hg.) : Das Jahr 1938 (1988), 124 f.
4 Bockhorn, O.: »Tiefes Heimatgefühl« (2002).
5 Obersteiner, J.: Bischöfe von Gurk (1980), 190.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353