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179Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Auch im Lavanttal wird argwöhnisch beobachtet, wie sich der protestantische Geist-
liche schon vor den Putschtagen um die Gefangenen sorgt.
Pastor Foelsche hält Sprechabende, ist Dietwart des deutschen Turnvereines und tritt im-
mer kecker für den Nationalsozialismus ein. Bei der Pfarrereinführung hat er sich erlaubt,
die Gefangenen im Anhaltelager öffentlich zu begrüßen, was einen Hauptschuldirektor
zum Ausspruch veranlaßte, ›der getraut sich wenigstens etwas zu sagen‹.208
Weiter unten209 wird die Rolle von evangelischen Geistlichen in diesem Zusammen-
hang noch genauer in den Blick genommen werden. Zunächst soll noch die letzte
Phase der aus dem Archivmaterial rekonstruierten Kirchenaustrittsbewegung bis
zum »Anschluss« umrissen werden.
2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938:
Vorbereitungen zum Massenaustritt
Die nur oberflächliche Beruhigung der Situation im Jahr 1935 dürfte auch zu einem
Abflauen der Berichtspraxis in den Pfarrämtern geführt haben. Aus diesem Grund
erging am 12. Februar 1936 ein erneutes Urgenzschreiben des Ordinariates an alle
Pfarrämter : »Es wolle mit möglichster Beschleunigung via Dekanalamt anher be-
richtet werden, wieviele Apostasien im Jahre 1935 in dortiger Pfarre erfolgt sind u.
zw. mit Angabe des Namens, Alters und Standes und aus welchen Gründen ?«210
Wurde vorhin bereits angedeutet, dass besonders ehemalige Inhaftierte aus der
politischen Opposition für einen Kirchenaustritt warben, so gilt das in besonderem
Maße für die Zeit nach dem Abkommen vom 11. Juli 1936 zwischen Schuschnigg
und dem Hitler-Regime. In ihm wurden die offenen Feindseligkeiten der beiden
faschistischen Systeme (vorerst und vordergründig) beigelegt. Hitler erkannte »die
volle Souveränität des Bundesstaates Österreich«211 an, umgekehrt erklärte sich
Schuschnigg bereit, Kräfte der »nationalen Opposition« in die österreichische Poli-
tik einzubinden – ohne eine offizielle Legitimierung der NSDAP. Am 23. Juli 1936
verkündete Schuschnigg als Folge dieses Abkommens eine Amnestie für politisch
Inhaftierte, sofern sie nicht besonders schwerwiegende Schuld auf sich geladen
hatten. Die Freilassung vieler Nationalsozialisten, besonders von Putschisten der
Julitage 1934, bedeutete aber zugleich die nun wieder verstärkte Weiterarbeit am
»Anschluss« und damit einen neuerlichen Schub für die Kirchenaustrittsbewegung.
208 Streiner, B.: Abfallsbewegung Dekanat Wolfsberg (28.04.1935).
209 Vgl. Kapitel 2.5.
210 Fb. Gurker Ordinariat : Urgenz zu den Apostasieberichten (12.02.1936).
211 Rumpler, H.: Dammbruch (1989), 14.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353