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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«206
den Katholizismus scheinen sie doch nicht vollziehen [zu] wollen, außer sie apostasieren
später erst.344
Die vermeintlich religiöse Indifferenz muss also vielmehr als Indifferenz gegenüber
der katholischen Kirche und damit als Ausdruck einer Folge historischer Erfahrun-
gen gesehen werden – dass nämlich religiöse (oder zumindest ersatzreligiöse) Sehn-
süchte sehr wohl vorhanden waren, hat der Erfolg der nationalsozialistischen Propa-
gandamethoden eindeutig aufgezeigt.
2.6.2 Nationalsozialistische Propagandamethoden
Viele Berichte an das Ordinariat geben Einblick in die Methoden der nationalsozia-
listischen Bewegung im Kärnten der 1930er Jahre. Zunächst fällt auf, dass viele Pro-
pagandeure dieser Ideologie aus dem Ausland stammen. Was für den evangelischen
Geistlichen bereits weiter oben erläutert wurde, kann auch für »säkulare« Agitatoren
und Agitatorinnen gelten. Dazu zählen einerseits recht wohlhabende reichsdeutsche
Siedler, die in Kärnten angesiedelt worden waren345 und dabei auch ihr Personal
entsprechend beeinflusst haben. Der 18-jährige A. L., »landwirtschaftlicher Arbeiter
beim vulgo T. in Albern«, ist bspw. ausgetreten aufgrund der
politisch-nationalsozialistische[n] Agitation eines deutschen u. zugleich evangelischen
Siedlers ›V.‹. Der Burcsche [sic !] wurde wie ein Sohn des Hauses bevorzugt u. so zu den
dunklen Plänen gewonnen. Der im Juliputsch geflüchtete V. hat einen gleichgerichteten
deutschen Pächter auf seinem Besitz.346
Dasselbe trifft auf folgenden Fall zu :
J. F., Hilfsarbeiter, früher Knecht […] ist anlässlich des Juliputsches abgefallen […]. Die-
ser Mann war bis dahin bei einem Reichsdeutschen protestantischen Siedler bedienstet, in
dessen Hause auch evangelischer Gottesdienst stattfindet, so dürfte auch das der Anlass
gewesen sein, dass der Abgefallene protestantisch geworden ist.347
Andererseits waren es aus Deutschland Zurückkehrende, die einflussreich für den
Nationalsozialismus und damit zugleich für den Kirchenaustritt warben. In Ober-
drauburg etwa wurde »die Abfallshetze […] betrieben von dem aus Deutschland zu-
344 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanatsamt Friesach (05.05.1934).
345 Siehe Teil II Kapitel 1.1.
346 Baltes, N.: Apostasien Pfarre Tigring (14.02.1936).
347 Marašek, K.: Abfallsbewegung Pfarre Damtschach (ohne Datum).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353