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225Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
treibung und Deportation aufzuarbeiten und damit eine Voraussetzung zu schaffen,
um die Risse, die nach wie vor durch Teile der Bevölkerung in diesem Land gehen,
zu kitten. Diese Erinnerungstradition, deren Etablierung im kollektiven Gedächtnis
vermutlich noch Zeit brauchen wird, muss in diesem Buch ausgespart bleiben ; sein
Fokus liegt auf der Zeit vor dem März 1938.
Der gegenwärtig stattfindende gedächtnisgeschichtliche Transformationsprozess
im Hinblick auf die NS-Zeit kann als Beispiel dafür dienen, inwiefern (keineswegs
zwingend) die Ausformung kultureller Gedächtnisinhalte an das Aussterben der Trä-
ger und Trägerinnen des kommunikativen Gedächtnisses gekoppelt ist : Der Zeitab-
stand zu diesen Ereignissen beträgt nun die biblischen drei bis vier Generationen,
die das kommunikative Gedächtnis zu umfassen imstande ist. Im Gegensatz dazu
können kulturelle Gedächtnisinhalte aber beliebig weit zurückreichen und fern in
der Vergangenheit liegende Geschehnisse als fixe Zeithorizonte vergegenwärtigen.
Das ist der Fall im Erinnern an die Herzogseinsetzungen am Fürstenstein und Her-
zogstuhl, die im kulturellen Gedächtnis mit der Missionierung Kärntens in Verbin-
dung gebracht werden. Sie bildet die erste der nun zu untersuchenden sieben Erin-
nerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens.
2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis
Die Missionierung Karantaniens fand ihren Niederschlag im kulturellen Gedächtnis
Kärntens in vielfältigen Formen. Zu ihnen zählt bspw. die Legende von Domitian,
der als ein zum Christentum konvertierter karantanischer Fürst die Götzenstatuen
eines heidnischen Tempels in den Millstättersee geworfen haben soll.4 Als Symbol
der Missionierung Kärntens dient die Marienkirche in Maria Saal, die gemeinsam
mit dem Fürstenstein und dem Herzogstuhl Teil der Fürsteneinsetzungszeremonien
am Zollfeld war. In ihr befindet sich ein Sarkophag, der die Reliquien des heili-
gen Modestus aufbewahren soll,5 der in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts vom
irischstämmigen Salzburger Abt-Bischof Virgil als erster Chorbischof nach Karan-
tanien entsandt wurde.6
In der Kärntner Heimatliteratur der Zwischenkriegszeit wird die Epoche der Mis-
sionierung und Christianisierung stark ideologisch erinnert. Die Rolle des Christen-
tums bzw. der Kirche fällt dabei ambivalent aus. So erscheint in einem als Kärntner
4 Graber, G. (Hg.) : Sagen aus Kärnten (1941), 312 f. Vgl. zu den historischen Hintergründen Domitians
Nikolasch, F. (Hg.) : Millstatt und Kärnten (1997).
5 Zur historischen Problematisierung dessen Kahl, H.-D.: Der Mythos (1997), 74–82.
6 Wolfram, H.: Conversio Bagoariorum (1979), 43 ; Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 18 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353