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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«212
2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse
Die Erwähnung anderer politischer Austrittsbekundungen abseits des Nationalso-
zialismus hält sich in Grenzen. Gelegentlich ist von einem sozialdemokratischen
Hintergrund eines Ausgetretenen zu lesen, etwas häufiger von Kommunisten.374
Mitunter weisen die Berichterstatter aber darauf hin, dass einige Austritte »nicht
auf die jüngsten politischen Ereignisse zurückzuführen«375 sind. Diese entpuppten
sich in den meisten Fällen als pragmatische Form, ihren Heiratsstatus zu verändern.
»Es sind viele gerichtlich geschiedene Katholiken, die nicht heiraten können, daher
werden sie Protestanten und können protestantisch heiraten, auch die Kinder unter
7 u. über 14 Jahren werden dann Protestanten.«376 Ein typisches Beispiel dafür, aller-
dings mit Wechsel zur altkatholischen Kirche, ist folgendes :
U. M. […] hat die Ehescheidung durch die Entscheidung des Landesgerichtes für ZRS
Wien […] erwirkt. Sie wohnte geschieden von ihrem Ehegatten W. B. in Feistritz a. d. Gail
mit einem ledigen Hilfsarbeiter namens E. G. […] zusammen. Beide wollten einander hei-
raten und nachdem sie keine Aussicht hatten nach dem römisch-katholischen Ritus getraut
zu werden, sind sie nach Nötsch übersiedelt und beide haben am 31. August 1935 ihren
Austritt aus der römisch-katholischen Kirche behufs Eintrittes in die altkatholische Kirche
angemeldet mit der Hoffnung, dass sie dann leichter heiraten können.377
Ein anderes Beispiel ist die 22-jährige B. P., die einen Protestanten heiraten wollte,
was nach dem kirchlichen Eherecht des CIC 1917 nicht möglich war.378
Sie kam […] mit einem Drauarbeiter nach Kappel, nahm hier für ein Monat Wohnung und
meldete in diesem Monat den Austritt aus der kath. Kirche an, um den bei ihr wohnenden
Drauarbeiter […], der Protestant ist, heiraten zu können. Sie sind jetzt beide in Radentein
[sic !].379
374 In einem Fall werden gar »Kommunisten und Freidenker« als »die radikalen Elemente« bezeichnet.
Holzmann, J.: Abfallsbewegung Pfarre Ferndorf (29.07.1933).
375 Zeichen, F.: Abfallsbewegung Pfarre Neuhaus (22.08.1933).
376 Habernig, J.: Abfallsbewegung Stadtpfarre Spittal (16.02.1935).
377 Havlicek, F.: Apostasien Pfarre Saak (18.02.1936).
378 Nach damaligem Kirchenrecht war Bekenntnisverschiedenheit ein Ehehindernis. Die Kirche verbie-
tet »überall aufs strengste, daß ein Katholik jemanden heiratet, der einer häretischen oder schismati-
schen Sekte angehört«. Kan. 1060, CIC 1917, zit. nach Jone, H.: Gesetzbuch (1940).
379 Singer, S.: Apostasien Pfarre Kappel (19.02.1936).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353