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177Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Allgemein ist für das erste Halbjahr 1934 zu beobachten, dass die Ausführungen der
Pfarrer nun deutlich umfangreicher wurden, was nicht nur an den länger werdenden
Austrittslisten zu liegen scheint, sondern auch auf ein gewisses gesteigertes Erklä-
rungsbedürfnis hinweist. Die Propaganda zum Kirchenaustritt wurde jetzt verstärkt
wahrgenommen, allen voran wurde der »Feind« in den Reihen der Protestanten ver-
mutet und die Pastoren als Propagandeure gesehen, die sich den Konfessionswechsel
teilweise auch »erkaufen«, wie aus der Stadtpfarre Friesach berichtet wird :
Aus allen [13 Apostasie-]Ausweisen ist ersichtlich, dass immer wieder die 3 Daten : 18.5.,
18.6. u. 11.4.1934 wiederkehren, die Tage an denen die Abfallsvorträge des Pastors aus ST.
Veit [sic !] hier u. in der Umgebung stattgefunden haben. Unter den Ausgetretenen sind
auch 3 Internierte nach dem 25.7. dabei, die aber schon vor der Internierung ihren Austritt
angemeldet hatten, aber auch die übrigen sind erwiesenermaßen lauter hervorragende Na-
tionalsocialisten. Einzelne von den Abgefallenen sind direkt gekauft mit Geld von Außen
durch den Pastor, obwohl sie auch von kath. Seite Unterstützungen erhielten.201
Der Putschversuch der Nationalsozialisten am 25. Juli 1934, der in diesem Zitat an-
gesprochen wird, zog in Kärnten Gefechte nach sich, die erst am 30. Juli endgültig
beendet werden konnten.202 Der »Bürgerkrieg«, der im Großteil Österreichs im Fe-
bruar 1934 als Folge des sozialdemokratischen Aufstandes gegen die Regierung aus-
brach, wurde in Kärnten im Juli 1934 zwischen nationalsozialistischen Putschisten
und den Regierungstruppen geführt.203 Der fehlgeschlagene Putsch kennzeichnet
auch den Beginn des dritten Abschnitts in der Kirchenaustrittsbewegung.
2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936:
Es brodelt unter der Oberfläche weiter
Einzelnen Schreiben ist zu entnehmen, dass im Zuge der Vorbereitungen zum Ju-
liputsch 1934 auch Massenaustritte im Falle des Erfolgs geplant waren. »Jedenfalls
wartete man die Putschgeschichte ab, um dann einen großen Abfall zu inscenie-
ren. Nachdem dieser misslungen, dürfte auch die Propaganda wieder abflauen, denn
manchen gehen doch die Augen auf, wohin man sie geführt hat.«204
201 Neuwirther, F.: Apostasie-Ausweis pro Oktober 1934 Stadtpfarramt Friesach (05.11.1934).
202 Klösch, C.: Vasallen (2007), 127.
203 Rumpler, H.: Vorwort (1989), 8.
204 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanat Friesach (08.08.1934). Auch in anderen Pfarren wurde eine
oberflächliche Entspannung der Situation bemerkt : »Die Abfallsbewegung ist im Jahre 35 scheinbar
zur Ruhe gekommen.« Koperek, F.: Apostasienausweis Pfarre St. Paul ob Ferndorf (14.02.1936).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353