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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«144
Dem konnte auch die militärische Mobilmachung im »Ständestaat« nichts ent-
gegensetzen. Nachdem Hitlers Wehrmacht am 7. März 1936 die entmilitarisierte
Rheinlandzone besetzt hatte, begann Schuschnigg unter Umgehung der Verträge
von St. Germain die Wiederaufrüstung bzw. Wiederbewaffnung Österreichs. Die bis
1938 erreichte »Mobilmachungsstärke von 310.000 Mann« hätte für gewisse Zeit
einen militärischen Widerstand gegen den deutschen Einmarsch bieten können. Mit
dem »Berchtesgadener Abkommen« vom 12. Februar 1938, das eher ein Diktat als
ein Abkommen war, war das weitere Schicksal Österreichs de facto besiegelt. Die
Volksbefragung, zu der Schuschnigg für den 13. März 1938 aufrief, war durch den
Einmarsch der Wehrmacht am Tag zuvor obsolet geworden. Die politischen Eliten
des österreichischen Ständestaates wurden eliminiert. Am 1. April 1938 startete der
erste Abtransport höherer Beamter und politischer Spitzen ins KZ Dachau.87
Unterdessen hatte sich die katholische Kirche ab der Mitte der 1930er Jahre zu-
nehmend vom Dollfuß-Schuschnigg-System distanziert. Nach dem Einmarsch Hit-
lers im März 1938 verfassten die österreichischen Bischöfe jene bedeutende »Feier-
liche Erklärung«, in der man »aus innigster Überzeugung und mit freiem Willen«
sich »als Deutsche zum deutschen Reich zu bekennen« versprach und den Gläu-
bigen gegenüber die Erwartung aussprach, »dass sie wissen, was sie ihrem Volke
schuldig sind«88. Am 27. März 1938, also zwei Wochen vor der Volksabstimmung
zum »Anschluss«, ließ man diese Erklärung von den Kanzeln der österreichischen
Kirchen verkünden.89
Es ist anzunehmen, dass der gestiegene Antiklerikalismus und der Verlust an öf-
fentlichem Ansehen hier wesentlicher Mitgrund für die Haltungswende waren. Die-
ses Faktum traf vor allem für das Bundesland Kärnten zu.
1.3 Der »Christliche Ständestaat« in Kärnten
Die wirtschaftliche Notlage im Österreich der 1930er Jahre machte auch vor dem
traditionell eher schwachen Wirtschaftsstandort Kärnten nicht Halt.90 So kam es im
Bereich der Landwirtschaft zu Hunderten Zwangsversteigerungen, zum drastischen
Abfallen des Holzpreises sowie zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die
Tausend-Mark-Sperre traf das Fremdenverkehrsland Kärnten ebenso schwer wie der
Exportrückgang nach Deutschland bei Holz und Vieh. Subventionierungen durch
87 Binder, D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 214–232.
88 KVBl. Nr. 6 (22.03.1938), 21.
89 Ausführlich dazu Liebmann, M.: Theodor Innitzer (1988), 65–119 ; Tropper, P. G.: Bemerkungen
(1989), 119 ; auch Moritz, S.: Grüß Gott (2002), 24.
90 Zur wirtschaftlichen Situation in Kärnten Rumpler, H.: Dammbruch (1989), 19–23.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353