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147Hinführung
Hülgerth wurde im November 1936 Vizekanzler und ging nach Wien, ihm folgte
Arnold Sucher als Landeshauptmann. Im Oktober 1937 wurde Josef Friedrich Per-
konig mit dem als Konsequenz des Juliabkommens 1936 neu geschaffenen Volkspo-
litischen Referat betraut. Dieser spielte auch eine Vermittlerrolle zwischen Natio-
nalsozialisten und dem Ständestaat, bevor er am 8. März 1938 Sucher zum Rücktritt
aufforderte. Sucher kam dieser Aufforderung erst nach, nachdem Schuschnigg selbst
am 11. März zurückgetreten war und von NSDAP-Gauleiter Franz Kutschera und
dem ihm folgenden Landeshauptmann Vladimir Pawlowski dazu gedrängt wurde.104
1.3.2 Zur Kärntner nationalsozialistischen Bewegung im Ständestaat
Auch wenn nach dem Verbot der Sozialdemokratie viele Arbeiter und Arbeiterinnen
ins Lager der Nationalsozialisten wechselten, fand die Bewegung durchwegs auch in
anderen, von der Wirtschaftskrise bedrohten Berufsgruppen Anhänger und Anhän-
gerinnen – so bspw. unter Angestellten, in der Land- und Forstwirtschaft oder bei
den öffentlich Bediensteten.105
Die Einschränkung der Pressefreiheit durch das Dollfuß-Schuschnigg-Regime,
das oppositionelle Zeitungen wie die Kärntner deutschnationale Tageszeitung Freie
Stimmen unter »Vorzensur« stellte, zeigte nur wenig Wirkung. Die Propagandama-
schinerie der in den Untergrund gedrängten Parteien und Bewegungen erstreckte
sich vom Flug-, Streu- und Klebezetteln über (gefälschte) Zeitungen bis hin zur öf-
fentlichen Positionierung verbotener Symbole an entlegenen, aber gut sichtbaren
Stellen. Die Nationalsozialisten versuchten, politische Gegner einzuschüchtern und
zeigten sich mit Attentaten, Sprengstoffanschlägen und gewaltsamen Übergriffen
deutlich aggressiver als die Sozialdemokraten und Kommunisten. Sämtliche Gegen-
maßnahmen des Regimes wie Berufsverbote, verschärfte Überwachung von verdäch-
tigen Personen, die weitere Einschränkung der Presse- und Versammlungsfreiheit,
Verwaltungsstrafen und nicht zuletzt die Einweisung in Anhaltelager, verschärften
die Gegensätze in der Bevölkerung noch mehr. Vonseiten der Nationalsozialisten
ergingen im Gegenzug Boykottaufrufe gegen regierungsnahe Unternehmen, allen
voran gegen die Druckerei Carinthia, in der das ihnen verhasste, vom Lavanttaler
Kleriker Michael Paulitsch geleitete Kärntner Tagblatt seinen Sitz hatte.106
Allein in der zweiten Hälfte des Jahres 1934 verübten die Nationalsozialisten in
Kärnten 14 Sprengstoffanschläge gegen Personen, 17 gegen öffentliche Einrichtun-
gen und 173 Propagandaaktionen.107 Klerikale Zentren wie das Benediktinerstift St.
104 Valentin, H.: Kärnten (2011), 51–54.
105 Wadl, W./Ogris, A. (Hg.) : Das Jahr 1938 (1988), 132.
106 Ebd., 186.
107 Klösch, C.: Vasallen (2007), 73.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353