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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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32 Einleitung ziativen VerknĂŒpfung“ transformierte97, wie Renner meint, dann wĂ€re es nicht erklĂ€rbar, warum der kanonische Romantext und vor allem der apokryphe Nachlass einen solchen planerischen Aufwand und eine solche gestalterische Besonnenheit verraten – und das sowohl in der mikrologischen Figurengestal- tung wie auch in dem auf den Kriegsausbruch fokussierten makrologischen Handlungsverlauf und in der (freilich fragmentarisch gebliebenen) symmetri- schen Gesamtanlage des Romans.98 2. Wenn das von Musil ErzĂ€hlte tatsĂ€ch- lich relativ evidenz- und referenzlos wĂ€re, wie Renner ebenfalls suggeriert, dann wĂ€re es kaum nachvollziehbar, weshalb so viele Leser in Musils Roman eine unbestechliche (wenn auch durchaus nicht lieblose) Analyse der unterge- henden Habsburgermonarchie erkannt haben, die manchen historiografischen Studien an die Seite zu stellen oder gar vorzuziehen sei.99 Zweifellos handelt es sich um einen Roman, der den Realismus als literari- sches Verfahren – und damit auch den Anspruch auf ‚Abbildung‘ der Wirklich- keit – ausdrĂŒcklich ablehnt : So hat sich Musil im bereits erwĂ€hnten GesprĂ€ch mit Oskar Maurus Fontana vom 30. April 1926 anlĂ€sslich der Arbeit an seinem Hauptwerk, das damals noch nicht den Namen Der Mann ohne Eigenschaften trug, in aller Deutlichkeit vom „historischen Roman“100 distanziert : „Die reale 97 Ebd., S. 72. 98 Musil selbst betonte in einem Brief an Walther Petry vom 4.3.1931, er habe „auf nichts solche Aufmerksamkeit verwendet als auf die Konstruktion der Entsprechungen und des Aufbaus“ (BrN 13). 99 Vgl. etwa MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, S. 98 f.; Wefelmeyer : Kultur und Literatur, S. 213 ; Kuzmics/Mozetič : Musils Beitrag zur Soziologie, S. 227. Ironischerweise wurde sogar von ‚postmoderner‘ Seite die Ansicht vertreten, dass die in Musils Mann ohne Eigenschaften wirksamen „Aussage- und Wissensordnungen“ denselben „An-Spruch auf Wahrheit“ hĂ€tten wie diejenigen historiografischer Untersuchungen ; vgl. Barberi : Clio verwunde(r)t, S. 21. Diese Nivellierung der funktionalen Differenz zwischen fiktionalen und faktualen Texten macht sich die vorliegende Untersuchung nicht zu Eigen. 100 Historische Romane bezeichnet Musil in den nachgelassenen Notizen zur Parallelaktion als „BĂŒcher, welche die großen Löcher in unserem Wissen ĂŒber die Vergangenheit benĂŒtzen, um sie mit Kitsch/dem Mist der Gegenwart auszufĂŒllen“. Dabei geht es ihm keineswegs um eine Ablehnung des historischen Denkens, sondern eines gewissen, seit dem Historismus beliebten literarischen Genres : „Wenn irgendetwas in der Welt es vermag, die Wichtigkeit geistiger Leis- tung fĂŒr das reale Leben vor Augen zu fĂŒhren, so ist es dieser geistige Sumpf, der aus Halbwissen, Kitsch und vor allem aus gar nicht Wissen wollen [sic], wie es wirklich war, besteht, und es ist sehr natĂŒrlich, daß der aus ihm aufsteigende Nebel das unzusammenhĂ€ngende Verhalten eines Rausches zur Folge hatte.“ Noch deutlicher wird er in einer dazugehörenden Randnotiz : „Das ist ebenso respektlos gegen die Vergangenheit, die unbedingt viel interessanter gewesen sein muß, wie es idiotisch ist. Aber man wird unschwer sehen, daß das pathetisch-ungenaue Verhalten zur Vergangenheit in vielen Variationen weit verbreitet ist“ (M VII/1/94). Zu den HintergrĂŒnden der Kritik Musils am historischen Roman vgl. auch Haslmayr : Die Zeit ohne Eigenschaften, S. 70–75.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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