Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geisteswissenschaften
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Page - 37 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 37 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Image of the Page - 37 -

Image of the Page - 37 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Text of the Page - 37 -

37Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung quent berufen und auf dieser Basis, vor allem aber hinsichtlich der zahlreichen gedanklichen „Parallelen“114 zwischen Ulrich/Musil und Luhmann zum Teil bemerkenswerte Ergebnisse erzielen.115 TatsĂ€chlich hebt der Romantext selbst wiederholt den abstrakten und subjektlosen Sachzusammenhang moderner Gesellschaften als „Seinesgleichen“ (MoE 81 u. ö.), „Gefilz von KrĂ€ften“ (MoE 13) und „Eigenschaften ohne Mann“ (MoE 148) hervor, ja eine nachgelassene Notiz Musils bezeichnet sogar (allerdings militĂ€rische) „ZusammenhĂ€nge als Kommunikationen“ (Tb 2, 1088). In interpretatorischer Hinsicht ist es aller- dings problematisch – einmal abgesehen von der bisweilen vorherrschenden bloßen Übertragung „Àsthetische[r] Reflexionen Musils in Luhmann’sches Vokabular“116 –, dass der von vielen (zumeist Ă€lteren) Arbeiten zu Recht her- vorgehobene ideologiekritische Aspekt117 des Musil’schen Romans unter die- ser Optik verloren geht bzw. theoretisch nicht sinnvoll integrierbar scheint118, wodurch die auf systemtheoretischer Basis erstellten Deutungen ein gewich- tiges inhaltliches Defizit aufweisen. So sind sie etwa hĂ€ufig nicht in der Lage, eine allzu schematische idealtypische GegenĂŒberstellung von stratifikatorisch 114 Scholz : Leben im Konjunktiv, S. 248. Zur Kritik der in der systemtheoretischen Musil-For- schung beliebten Suche nach „AffinitĂ€ten zwischen dem Dichter und dem Soziologen“ vgl. Pfohlmann : Rez. zu Berger, Musil mit Luhmann, S. 293. Pfohlmann plĂ€diert dafĂŒr, „Luhmanns Theorie punktuell und funktional“ einzusetzen, und nennt die Studie von Martens (Beobachtun­ gen der Moderne) „das bislang beste Beispiel“ dafĂŒr. 115 Vgl. Scholz : Leben im Konjunktiv ; Schwanitz : Das Symposion als Parallelaktion ; Pott : Robert Musil und das 20. Jahrhundert ; Wagner : Von Massen und Menschen ; Wimmer : So wirklich ist die Möglichkeit ; Bolterauer : Rahmen und Riss ; KĂŒmmel : Das MoE-Programm ; Berger : Musil mit Luhmann ; Mehigan : Musil mit Luhmann ; Martens : Beobachtungen der Moderne ; Fuchs : Vom Etwas-ohne-Eigenschaften. 116 Pfohlmann : Rez. zu Berger, Musil mit Luhmann, S. 293. 117 Vgl. MĂŒller : Ideologiekritik und Metasprache, passim, bes. S. 9–11 ; Böhme : Anomie und Ent- fremdung, passim, bes. S. 2–4 ; Howald : Ästhetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, passim, bes. S. 104–106 u. 370–373. Maier-Solgk : Sinn fĂŒr Geschichte, S. 254, spricht dementsprechend ausdrĂŒcklich von „Musils ideologiekritische[m] LiteraturverstĂ€ndnis“ und verweist dabei insbe- sondere auf die Ergebnisse der Arbeit von Götz MĂŒller. 118 Unter Berufung auf Luhmann : Soziale Systeme, S. 25, betont Martens : Beobachtungen der Moderne, S. 12, „dass moderne Kommunikation (vorwiegend) selbstreflexiv geworden ist, dass sie kommuniziert, indem sie auf ihre eigenen Benennungspraktiken hinweist und dass es dem- entsprechend keinen privilegierten Platz fĂŒr Ideologiekritik mehr gibt, da diese zum Baustein der Kommunikation selbst geworden ist.“ Wenig spĂ€ter stellt er den Ă€lteren Untersuchungen, die Musil (angeblich) als „Sprachrohr der Kritischen Theorie und Ideologiekritik“ behandeln, sogar ausdrĂŒcklich jene gegenĂŒber, die ihn „als Vertreter einer ‚affirmativen‘ Systemtheorie im Sinne Luhmanns“ prĂ€sentieren (S. 26 f.). Er konstruiert somit eine regelrechte Opposition zwischen ideologiekritischer und systemtheoretischer Musil-Deutung, die er in seiner eigenen Arbeit allerdings nicht konsequent durchhĂ€lt.
back to the  book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion