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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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39Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung teile bei der Deutung philosophisch-essayistischer Passagen des Mann ohne Eigenschaften, weil sie deren inhaltliche Tendenz zur Ablösung individualisti- scher Konzeptionen des Menschen sowie zur Inauguration einer funktiona- listischen Konzeption von Gesellschaft teilt.124 Weniger geeignet scheint sie hingegen zur Beschreibung der konkreten sozialen Praxis von einzelnen Ro- manfiguren, die trotz aller Überformung der narrativen Handlungssubstanz durch den essayistischen ErzĂ€hlerdiskurs doch den gesamten Romantext zu- sammenhĂ€lt und einen zentralen Bestandteil der erzĂ€hlten Welt ausmacht, die keineswegs hinter ihrer ErzĂ€hlung (rĂ©cit) oder gar dem ErzĂ€hlen (narration) verschwindet. Den fiktionalen gesellschaftlichen Rahmen („Kakanien“) sowie die differenzielle figurale Praxis bis hin zu ihrer körperlichen Dimension gilt es in der vorliegenden Untersuchung wieder stĂ€rker ins Zentrum des analyti- schen Interesses zu stellen, sind sie es doch, die Musil mit seiner Entscheidung fĂŒr die Literatur (und gegen die damalige Philosophie) ganz bewusst zum Medium seiner schriftstellerischen BemĂŒhungen gemacht hat. Das verstĂ€rkte Augenmerk auf die erzĂ€hlte Geschichte (histoire), die Musil mit zahlreichen distinktiven sozial- und kulturhistorischen Details atmosphĂ€risch angereichert hat, erlaubt es, seinen Roman in der Analyse wieder mit jener ‚sozialen Ener- gie‘125 aufzuladen, die in seine Niederschrift eingeflossen ist und die zweifels- ohne seine anhaltende intellektuelle Brisanz mitbedingt. In der hier vorliegenden Untersuchung gilt besondere Aufmerksamkeit der in der romanesken Handlungssubstanz sichtbar werdenden „Logik der Praxis“, deren Besonderheit Bourdieu folgendermaßen umrissen hat : „Man muß der Praxis eine Logik zuerkennen, die anders ist als die Logik der Logik, damit man der Praxis nicht mehr Logik abverlangt, als sie zu bieten hat. Sonst wĂ€re man dazu verdammt, entweder mangelnde SchlĂŒssigkeit von ihr zu ver- langen oder ihr eine erzwungene SchlĂŒssigkeit ĂŒberzustĂŒlpen.“126 Bourdieu 124 Vgl. Martens : Beobachtungen der Moderne, S. 34–37. 125 Der Begriff der ‚sozialen Energie‘, verstanden als „Form von verdinglichter oder lebendiger Arbeit“, begegnet bei Bourdieu : Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital, S. 49 u. 71. Die in den Literaturwissenschaften wohl prominentere, jĂŒngere, aber inhaltlich nicht deckungsgleiche Begriffsverwendung in Greenblatts Shakespearean Negotiations spielt hier hingegen eine geringere Rolle. Vgl. Baßler : New Historicism, S. 16, vor allem aber Greenblatt : Verhandlungen mit Shakespeare, S. 9–33, hier S. 15 f., wonach sich die in ihrer Herkunft nicht nĂ€her ergrĂŒndete ‚soziale Energie‘ „in der FĂ€higkeit gewisser sprachlicher, auditiver und visuel- ler Spuren“ manifestiert, „kollektive physische und mentale Empfindungen hervorzurufen und diese zu gestalten und zu ordnen“. 126 Bourdieu : Sozialer Sinn, S. 157. Vgl. dazu auch Bourdieus Kritik der „Theorie des rationalen Handelns“, die er als „typisches Beispiel fĂŒr die scholastic fallacy“ bezeichnet, „den gewöhnli- chen Trugschluß der professionellen HĂŒter von logos und Logik, der darin besteht, ‚die Dinge
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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