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197Grundbegriffe
des Romankonzepts
wie Christoph Hoffmann in einer zweifellos originellen (Ăber-)Pointierung
suggeriert.83
Gegen die Angemessenheit dieser wohl ĂŒberzogenen These von der an-
geblichen psychotechnischen Mobilmachung im Roman oder gar der ver-
schwörungstheoretischen Deutung des gesamten Mann ohne Eigenschaften
als âtopologisches Planspielâ84 im Sinne militĂ€rischer âGeneralstabslogistikâ85
können indes nicht nur die erkenntnistheoretischen Implikationen des essay-
istischen Reflexions- und ErzĂ€hlprogramms86, sondern ĂŒberdies auch thema-
tisch einschlĂ€gige Romanpassagen angefĂŒhrt werden, die gerade die von Hoff-
mann in Abrede gestellte romankonstitutive Ironie87 wirksam werden lassen :
Wenn die Figur des Stumm von Bordwehr dem widerborstigen âZivilgeistâ
mit AufmarschplÀnen, Demarkationslinien und Schlachtordnungen beizu-
kommen versucht (vgl. MoE 370â374), ist dieses Unterfangen von vornherein
zum Scheitern verurteilt â und zwar nicht nur, weil er âein Narrâ ist, âder von
seinem Glauben an den âZivilverstandâ nicht lassen will und sich als MilitĂ€r
von gestern enthĂŒlltâ88, wie Hoffmann jeden Zweifel an der sinistren kittle-
rianischen Verdachtslogik elegant eskamotiert. Der nur scheinbar naive Ge-
neral Stumm von Bordwehr89 gelangt in seiner âBemĂŒhung, Ordnung in den
Zivilstand zu bringenâ (MoE 370), vielmehr zu einer durchaus respektablen
Erkenntnis, die allerdings das Vertrauen in die psychotechnische Methodik als
ordnendes Allheilmittel grĂŒndlich erschĂŒttert :
Stell dir Ordnung vor. Oder stell dir lieber zuerst einen groĂen Gedanken vor, dann ei-
nen noch gröĂeren, dann einen, der noch gröĂer ist, und dann immer einen noch grö-
83 Hoffmann : âDer Dichter am Apparatâ, S. 274 ; vgl. ebd., S. 281 : âDer ganze Aspekt psycho-
technischer Durchbildung, der Ulrich in Der Mann ohne Eigenschaften umtreibt, wird so in den
gröĂeren Rahmen eines Modells gestellt, welches das Handeln des Einzelnen wie das Handeln
von Gruppen als permanenten Kriegsfall definiert.â
84 Ebd., S. 282.
85 Ebd., S. 281.
86 Vgl. Kap. I.3.2.
87 Vgl. Hoffmann : âDer Dichter am Apparatâ, S. 246 u. bes. S. 283 : âDie wahre [!] und neueste
militĂ€rische Sicht der Dinge ist [âŠ] bar jeder Ironie [âŠ] dem ehemaligen KavalleriefĂ€hnrich Ul-
rich und dem ehemaligen Landsturm-Oberleutnant und Fachbeirat fĂŒr Methoden der Geistes-
und Arbeitsausbildung Robert Musil zu eigen. Darum kann man die beiden, was ihren Denkstil
betrifft, und den Diskurs, aus dem er sich speist, insgeheim als Komplizen einer Sache bezeich-
nen : der Sache des Krieges und der Methoden, seiner Herr zu werden.â
88 Ebd., S. 283.
89 Zur intrikaten, durchaus hintergrĂŒndigen Figurengestaltung vgl. den einschlĂ€gigen Ab-
schnitt in Kap. II.2.1.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208