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198 Teil I: Grundlegung
Ăeren ; und nach diesem Muster stell dir auch immer mehr Ordnung in deinem Kopf
vor. Zuerst ist das so nett wie das Zimmer eines alten FrÀuleins und so sauber wie ein
Ă€rarischer Pferdestall ; dann groĂartig wie eine Brigade in entwickelter Linie ; dann toll,
wie wenn man nachts aus dem Kasino kommt und zu den Sternen âGanze Welt, habt
acht ; rechts schaut !â hinaufkommandiert. Oder sagen wir, im Anfang ist Ordnung so,
wie wenn ein Rekrut mit den Beinen stottert und du bringst ihm das Gehen bei ; dann
so, wie wenn du im Traum auĂer der Tour zum Kriegsminister avancierst ; aber jetzt
stell dir bloĂ eine ganze, universale, eine Menschheitsordnung, mit einem Wort eine
vollkommene zivilistische Ordnung vor : so behaupte ich, das ist der KĂ€ltetod, die Lei-
chenstarre, eine Mondlandschaft, eine geometrische Epidemie ! (MoE 464)
Solche Ăberlegungen entbehren im 20. Jahrhundert mit seinen totalitĂ€ren
Staaten keineswegs der sinnfÀlligen Evidenz, im Gegenteil. Von einer eindi-
mensional affirmativen Adaptation der militÀrischen Psychotechnik auf den
Bereich des zivilen Geists kann hier wohl keine Rede sein. Mit anderen Wor-
ten, die in ihrem Hintersinn ebenfalls dem nur scheinbaren âNarrenâ Stumm
in den Mund gelegt werden : âIch habe so etwas Komisches im GefĂŒhl : ein
VerstĂ€ndnis dafĂŒr, warum wir beim MilitĂ€r, die wir die gröĂte Ordnung haben,
gleichzeitig bereit sein mĂŒssen, in jedem Augenblick unser Leben hinzuge-
ben. Ich kann nicht ausdrĂŒcken, warum. Irgendwie geht Ordnung in das Be-
dĂŒrfnis nach Totschlag ĂŒber.â (MoE 464 f.) Wer wĂŒrde hierin angesichts der
explizit gemachten tödlichen Konsequenz ernsthaft eine ironiefreie Feier der
ordnungsstiftenden Psychotechnik durch den militÀrischen Fachbeirat Musil
sehen wollen ?
Die Einsicht in die âMenschenunmöglichkeitâ einer tatsĂ€chlich funktionie-
renden âPsychotechnik der Kollektiveâ im Sinne einer geordneten âSystema-
tik des Zusammenlebensâ wird an anderer Stelle von Ulrich selbst formuliert ;
so scheint sein âgefĂ€hrlicher [!] Lieblingsgedankeâ eines âJahrzehnt-, Jahrhun-
dert- oder Jahrtausendplan[s]â, âden sich die Menschheit zu geben hĂ€tte, um
ihre Anstrengungen auf das Ziel zu richten, das sie ja in der Tat noch nicht
kennen kannâ (MoE 826 ; vgl. MoE 358 f.), innerhalb der Romankonstruktion
erklĂ€rtermaĂen zum Scheitern verurteilt :
Die Vorstellung, daĂ sich Menschen, die in dieser Weise lebten, je zu einer ĂŒberlegten
Navigation ihres geistigen Schicksals zusammentun könnten, war einfach nicht zu
bilden, und Ulrich muĂte einsehen, daĂ sich auch die geschichtliche Entwicklung
niemals in einer solchen planenden Verbindung der Ideen vollzogen habe, wie sie
im Geist des einzelnen Menschen zur Not möglich ist, sondern stets vergeudend
und so verschwenderisch, als hÀtte sie die Faust eines groben Spielers auf den Tisch
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book Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208