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341âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
Die Maskulinisierung des mÀnnlichen und die Feminisierung des weiblichen Körpers
sind gewaltige und in einem bestimmten Sinn unendliche Aufgaben, die [âŠ] einen
betrÀchtlichen Aufwand an Zeit und Anstrengung erfordern und eine Somatisierung
des HerrschaftsverhÀltnisses zur Folge haben, das auf diese Weise naturalisiert wird.
Durch eine regelrechte Dressur der Körper werden jene ganz basalen Dispositionen
aufgezwungen, die zur Teilnahme an den [sozialen, N. C. W.] Spielen geneigt und fÀ-
hig machen, die die Entfaltung der VirilitĂ€t am meisten begĂŒnstigen [âŠ].54
Die erwĂ€hnte Problematik der âNichtĂŒbereinstimmungâ zwischen Geist und
Körper ist nun fĂŒr die Eigenschaftsproblematik des Musilâschen Romans inso-
fern von erheblicher Bedeutung55, als sie deren konstitutive Aporie offenlegt,
indem sie die sozialen Geschlechterrollen als konventionell und Ă€uĂerlich er-
scheinen lÀsst :
Man unterstellt allgemein, daĂ, gemÀà dem Postulat von der Ăbereinstimmung des
âPhysischenâ mit dem âGeistigenâ, in der körperlichen hexis, zu der der Bau (die âPhy-
sisâ) wie auch die Umgangsweise, die Haltung und das Auftreten gehören, das âin-
nerste Wesenâ der Person, ihre wahre âNaturâ zum Ausdruck kommt. Diese Hervor-
bringung des praktischen oder rationalen Wissens gestattet es, âpsychologischeâ und
âmoralischeâ Eigenschaften mit körperlichen oder physiognomischen Merkmalen zu
verknĂŒpfen. (Ein schmaler und schlanker Körper z. B. wird hĂ€ufig als ein Zeichen fĂŒr
mĂ€nnliches ZĂŒgeln körperlicher Begierden wahrgenommen.) Aber diese Sprache der
Natur, die das Verborgenste und Wahrste zugleich verraten soll, ist in Wirklichkeit
eine Sprache der sozialen IdentitĂ€t, die so, etwa in Gestalt der âVulgaritĂ€tâ oder der
sogenannten natĂŒrlichen âDistinktionâ, naturalisiert wird.56
Indem Musil das gĂ€ngige âPostulat von der Ăbereinstimmung des âPhysischenâ
mit dem âGeistigenââ als bloĂ kulturelle Setzung entlarvt, macht er auch die
Naturalisierungen als solche kenntlich, die der Vorstellung substanzieller âEi-
genschaftlichkeitâ zugrunde liegen.57 Dies gilt sogar fĂŒr die angeborenen âkör-
perlichen Eigenschaftenâ wie primĂ€re und sekundĂ€re Geschlechtsmerkmale
sowie die scheinbar individuellsten physiognomischen Charakteristika, die
unbewusst âdurch Wahrnehmungsschemata erfaĂtâ werden, âderen Gebrauch
bei den Bewertungsakten von der jeweiligen Position im sozialen Raum ab-
54 Bourdieu : Die mÀnnliche Herrschaft, S. 99 f.
55 Vgl. Fleig : Körperkultur und Moderne, S. 220 f.
56 Bourdieu : Die mÀnnliche Herrschaft, S. 114.
57 Vgl. auch Kuzmics/MozetiÄ : Musils Beitrag zur Soziologie, S. 247.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208