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346 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
menhĂ€ngen der Fall war. Dies heiĂt aber keineswegs, dass sie gĂ€nzlich bedeu-
tungslos wird, sondern nur, dass sie nunmehr in einer stÀrkeren Wechselwir-
kung mit anderen Faktoren steht :
Die Strategien hÀngen von dem jeweils augenblicklichen VerhÀltnis zwischen dem
Erbe der verschiedenen Gruppen und den verschiedenen Reproduktionsinstru-
menten ab, dem VerhĂ€ltnis, das die Ăbertragbarkeit des Erbes in dem Sinne be-
stimmt, daĂ es die Vererbungsbedingungen, das heiĂt die differentiellen GrenzertrĂ€ge
festlegt, welche die verschiedenen Reproduktionsinstrumente fĂŒr die Investitionen
jeder Klasse oder Klassenfraktion bieten.69
Der Romankosmos des Mann ohne Eigenschaften reflektiert diesen generatio-
nellen und damit notwendig auch habituellen Umbruch in seiner Gesamtan-
lage70 und in zahlreichen seiner (mÀnnlichen) Figuren. Der historische Um-
stellungsprozess erweist sich dabei als keineswegs abgeschlossen, wie sich an
der auffallend starken Position der romanesken VÀter zeigen lÀsst, die noch
in Richtung vormoderner Gesellschaftsstrukturen deutet, wÀhrend die Söhne
lÀngst modernen Selbstverwirklichungsvorstellungen anhÀngen und am Hiat
zwischen den eigenen Dispositionen und dem âSchicksalâ, das das Erbe fĂŒr
sie bereithÀlt71, bisweilen verzweifeln. Musils (mÀnnliches) Romanpersonal
partizipiert hier an einem zeittypischen Generationenkonflikt, der seinen
gleichsam idealtypischen literarischen Ausdruck in Kafkas berĂŒhmtem Brief
an den Vater (1919) gefunden hat, aber auch schon in der ErzÀhlung Das Urteil
(1913).72 Die âWidersprĂŒche des Erbesâ sind in dessen Struktur selber ange-
legt :
Der Vater ist TrĂ€ger und Werkzeug einer âProjektsâ (oder besser eines conatus), das
in die ererbten Dispositionen eingeschrieben ist und unbewuĂt, in und durch die
Wesensart des Vaters, sowie explizit, in Form seiner erzieherischen AktivitÀt, die auf
die Sicherung des Fortbestands der Abstammungslinie ausgerichtet ist (also dessen,
was in manchen Traditionen âdas Hausâ genannt wird), weitergegeben wird. Erbe
zu sein bedeutet, diese immanenten Dispositionen zu ĂŒbertragen, das Streben nach
Fortdauer (conatus) zu befriedigen und sich bereitwillig zum gehorsamen Werkzeug
69 Bourdieu/Boltanski/de Saint Martin : Kapital und Bildungskapital, S. 23 ; mehr dazu ebd., S. 23 f.
u. 44 f.
70 Vgl. dazu die Ăberlegungen in Kap. II.1.3.
71 Vgl. Bourdieu : WidersprĂŒche des Erbes, S. 652.
72 Vgl. dazu von Matt : Verkommene Söhne, miĂratene Töchter, S. 264â307 u. 377â381 (Anm.).
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Title
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Subtitle
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Author
- Norbert Christian Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2011
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 1224
- Keywords
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208