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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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520 Teil II: Romantext als KrĂ€ftefeld gesprĂ€ch eine eigene „Philosophie des Geldes“ (MoE 1389) formulieren, die jener von Arnheim vertretenen in mehrerer Hinsicht Ă€hnelt559 : Er stellte fest, daß es der Fehler aller Religionen sei, die Tugend nur negativ, als Enthaltsamkeit und Selbstlosigkeit zu lehren ; das macht sie unzeitgemĂ€ĂŸ und gibt den GeschĂ€ften, die man machen muß, beinahe etwas von heimlichen SĂŒndenfĂ€l- len. Dagegen hatte ihn die öffentliche Religion der TĂŒchtigkeit ergriffen, wie er sie in Deutschland bei seinen GeschĂ€ften antraf. Einem tĂŒchtigen Menschen hilft man gern, mit anderen Worten, er findet ĂŒberall Kredit : das war eine positive Formel, mit der man etwas schaffen konnte. Sie lehrte hilfsbereit sein, ohne auf Dankbar- keit zu rechnen, genauso wie es die christliche Lehre verlangt, aber schloß nicht die Unsicherheit ein, daß man sich auf irgendein edles GefĂŒhl eines anderen Menschen verlassen mĂŒsse, sondern benutzte den Egoismus als die einzige verlĂ€ĂŸliche Eigen- schaft des Menschen, die er ohne Zweifel ist. Das Geld aber ist ein geniales Mittel, um diese Grundeigenschaft berechenbar und regulierbar zu machen. Es ist geordnete Selbstsucht, ins VerhĂ€ltnis gebracht zur TĂŒchtigkeit. Eine ungeheure Organisation der Ichsucht nach der Rangordnung, es zu verdienen. Es ist eine schöpferische Groß- organisation, aufgebaut auf der Gemeinheit. – Nicht Kaiser, noch Könige haben die Leidenschaften so gezĂ€hmt wie das Geld. [
] WĂ€re schon alles dem Gelde zugĂ€ng- lich und wĂŒrde jede Sache ihren Preis haben, wovon man leider noch entfernt ist, so wĂŒrde eine andere Moral als das Bestehen des Handels ĂŒberhaupt nicht nötig sein. Dies war seine Meinung und Überzeugung. (MoE 1610, nach M II/1/117–118) Einen Niederschlag findet diese insgesamt zynische Sicht der Dinge560, die freilich auch an Musils eigene Diagnosen aus dem Essayfragment Der deutsche Mensch als Symptom erinnert (vgl. GW 8, 1358 u. 1386–1391)561, im allmĂ€hli- Feuermaul, die „große Pulverlieferungen fĂŒr das Kriegsministerium“ bereitstellt (MoE 1443), von dem sich ankĂŒndigenden Waffengang erheblich profitieren werden. 559 Vgl. Howald : Ästhetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 288 u. bes. S. 317 f.; Pott : Besitz und Bildung, S. 133, Anm. 11. 560 Laut Blaschke : Der homo oeconomicus und sein Kredit, S. 295 f., legt Fischel hier „das radikale Bekenntnis eines homo oeconomicus“ ab, „dessen Credo die totale Akkreditierung des Gelds als universal-optimalem Medium gesellschaftlicher Organisation und Problemlösung ist“. Zu- gestanden werden in dieser affirmativen Deutung des Bankprokuristen aus dem antimarxisti- schen Geist Luhmanns immerhin die „ironischen Verdrehungen“ in Fischels Figurenrede so- wie die Gefahr einer gesellschaftlichen „Entdifferenzierung der SphĂ€ren [
] durch universale KĂ€uflichkeit“, worin „der verdeckte Preis des totalen Ökonomismus“ liege. 561 Vgl. Howald : Ästhetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 288–294. Allerdings spricht Mu- sil schon 1920 in einem Eintrag in sein Arbeitsheft 8 kritisch von der „Indolenz“, „mit der man sich hinter der Valuta versteckt. Das Geld zeigt hier wieder einmal seine FĂ€higkeit, fĂŒr mora-
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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