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520 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
gesprĂ€ch eine eigene âPhilosophie des Geldesâ (MoE 1389) formulieren, die
jener von Arnheim vertretenen in mehrerer Hinsicht Àhnelt559 :
Er stellte fest, daĂ es der Fehler aller Religionen sei, die Tugend nur negativ, als
Enthaltsamkeit und Selbstlosigkeit zu lehren ; das macht sie unzeitgemÀà und gibt
den GeschĂ€ften, die man machen muĂ, beinahe etwas von heimlichen SĂŒndenfĂ€l-
len. Dagegen hatte ihn die öffentliche Religion der TĂŒchtigkeit ergriffen, wie er sie
in Deutschland bei seinen GeschĂ€ften antraf. Einem tĂŒchtigen Menschen hilft man
gern, mit anderen Worten, er findet ĂŒberall Kredit : das war eine positive Formel,
mit der man etwas schaffen konnte. Sie lehrte hilfsbereit sein, ohne auf Dankbar-
keit zu rechnen, genauso wie es die christliche Lehre verlangt, aber schloĂ nicht die
Unsicherheit ein, daĂ man sich auf irgendein edles GefĂŒhl eines anderen Menschen
verlassen mĂŒsse, sondern benutzte den Egoismus als die einzige verlĂ€Ăliche Eigen-
schaft des Menschen, die er ohne Zweifel ist. Das Geld aber ist ein geniales Mittel,
um diese Grundeigenschaft berechenbar und regulierbar zu machen. Es ist geordnete
Selbstsucht, ins VerhĂ€ltnis gebracht zur TĂŒchtigkeit. Eine ungeheure Organisation der
Ichsucht nach der Rangordnung, es zu verdienen. Es ist eine schöpferische GroĂ-
organisation, aufgebaut auf der Gemeinheit. â Nicht Kaiser, noch Könige haben die
Leidenschaften so gezĂ€hmt wie das Geld. [âŠ] WĂ€re schon alles dem Gelde zugĂ€ng-
lich und wĂŒrde jede Sache ihren Preis haben, wovon man leider noch entfernt ist, so
wĂŒrde eine andere Moral als das Bestehen des Handels ĂŒberhaupt nicht nötig sein.
Dies war seine Meinung und Ăberzeugung. (MoE 1610, nach M II/1/117â118)
Einen Niederschlag findet diese insgesamt zynische Sicht der Dinge560, die
freilich auch an Musils eigene Diagnosen aus dem Essayfragment Der deutsche
Mensch als Symptom erinnert (vgl. GW 8, 1358 u. 1386â1391)561, im allmĂ€hli-
Feuermaul, die âgroĂe Pulverlieferungen fĂŒr das Kriegsministeriumâ bereitstellt (MoE 1443),
von dem sich ankĂŒndigenden Waffengang erheblich profitieren werden.
559 Vgl. Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 288 u. bes. S. 317 f.; Pott : Besitz
und Bildung, S. 133, Anm. 11.
560 Laut Blaschke : Der homo oeconomicus und sein Kredit, S. 295 f., legt Fischel hier âdas radikale
Bekenntnis eines homo oeconomicusâ ab, âdessen Credo die totale Akkreditierung des Gelds
als universal-optimalem Medium gesellschaftlicher Organisation und Problemlösung istâ. Zu-
gestanden werden in dieser affirmativen Deutung des Bankprokuristen aus dem antimarxisti-
schen Geist Luhmanns immerhin die âironischen Verdrehungenâ in Fischels Figurenrede so-
wie die Gefahr einer gesellschaftlichen âEntdifferenzierung der SphĂ€ren [âŠ] durch universale
KĂ€uflichkeitâ, worin âder verdeckte Preis des totalen Ăkonomismusâ liege.
561 Vgl. Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 288â294. Allerdings spricht Mu-
sil schon 1920 in einem Eintrag in sein Arbeitsheft 8 kritisch von der âIndolenzâ, âmit der man
sich hinter der Valuta versteckt. Das Geld zeigt hier wieder einmal seine FĂ€higkeit, fĂŒr mora-
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208