Seite - 43 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Bild der Seite - 43 -
Text der Seite - 43 -
1. Grundlagen der Untersuchung
1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse
literarischer Texte
Die vorliegende Arbeit bedient sich in ihrer Gesamtanlage und in zentralen
â aber lange nicht allen â Passagen ihrer Argumentation eines in der deutsch-
sprachigen Literaturwissenschaft noch weitgehend unerprobten textanalyti-
schen Ansatzes : der Sozioanalyse literarischer Texte, die kein Literaturwis-
senschaftler, sondern der französische Soziologe Pierre Bourdieu in einer
exemplarischen LektĂŒre von Gustave Flauberts Roman LâĂducation sentimen-
tale (1869) induktiv entwickelt hat.1 Im Unterschied zur allgemeinen soziologi-
schen Feldtheorie Bourdieus erklÀrt diese Methode der Interpretation von Er-
zĂ€hltexten, die sich insbesondere fĂŒr kognitiv anspruchsvolle Werke anbietet,
das einzelne kĂŒnstlerische Produkt und seine Struktur â hier den singulĂ€ren
Roman â nicht vom Kontext des sozialen Feldes her, in dem es entstanden
ist, sondern beschreitet den umgekehrten Weg : Die Struktur des Textes er-
hellt die ihm erkenntnislogisch vorausgehende Struktur des Feldes. Da die
Sozioanalyse literarischer Texte als Sonderform der Feldtheorie im deutsch-
sprachigen und internationalen Bereich noch kaum diskutiert2, geschweige
denn angewendet wurde3, soll sie im Folgenden knapp vorgestellt werden.
Die theoretischen Voraussetzungen und Implikationen dieser Art von Text-
1 Vgl. Bourdieu : Die Regeln der Kunst, S. 19â69. Eine erste, erheblich abweichende Fassung die-
ser Interpretation liegt auf Deutsch vor in Bourdieu : Flaubert. EinfĂŒhrung in die Sozioanalyse.
2 Im auffallenden Unterschied zur Bourdieuâschen Feldtheorie insgesamt. Eher kursorische Ausei-
nandersetzungen mit der Methode von Bourdieus Textanalyse der Ăducation sentimentale finden
sich in : Fischer/Jarchow : Die soziale Logik der Felder und das Feld der Literatur, S. 170 ; Jurt :
Das literarische Feld, S. 139â142 ; Renner : Einleitung, S. 77 f.; GeisenhanslĂŒke : EinfĂŒhrung in die
Literaturtheorie, S. 134 ; vgl. auch einige BeitrĂ€ge des Sonderhefts âPierre Bourdieu and Literary
Historyâ der Zeitschrift Modern Language Quarterly, insbesondere Guillory : Bourdieuâs Refusal,
S. 389â393 ; Moi : The Challenge of the Particular Case, S. 500, bes. Anm. 4. AusfĂŒhrlicher ist
neuerdings Séginger : Flaubert contre Flaubert. Eine einlÀsslichere Kritik aus dem deutschspra-
chigen Raum, die unten noch genauer diskutiert wird, liegt vor in Pfeiffer : Politik und Gesell-
schaftsstruktur.
3 Vgl. Jannidis : Gesellschaftstheoretische AnsÀtze, S. 347 ; zu verweisen ist allerdings auf folgende
anregende Arbeiten : Joch : Ein sozioanalytischer Nachtrag zu Frau Jenny Treibel ; Krellner : John-
sons Jahrestage als âliterarischer Selbstversuchâ. Bei Wolf : Robert Musil als Analytiker Robert
Musils, handelt es sich um einen ersten Entwurf zu vorliegender Untersuchung.
zurĂŒck zum
Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208