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3. Grundbegriffe des Romankonzepts
Die bereits vielfach interpretierten kardinalen Musilâschen Konzepte der âEi-
genschaftslosigkeitâ und des âMöglichkeitssinnsâ bzw. des âEssayismusâ sollen
hier nicht ein weiteres Mal von Grund auf rekonstruiert und mit allen ihren
Implikationen entwickelt werden. Angestrebt wird stattdessen eine Rekapi-
tulation ihrer wichtigsten Aspekte fĂŒr die im Folgenden unternommene So-
zioanalyse des Romans, wodurch die Akzente in mancher Hinsicht anders als
ĂŒblich gesetzt werden sowie bisher wenig beachtete Kontexte in neuem Licht
erscheinen. Die vorliegende Untersuchung knĂŒpft damit an die in der neue-
ren Forschung sichtbare Tendenz an, Musils âGrundbegriffeâ nicht mehr vor-
dringlich âunter dem Blickwinkel letzter Fragen, etwa ĂŒber Gott, das Subjekt
oder das Seinâ1 zu verstehen, wie das vor allem in Ă€lteren Arbeiten der Fall
gewesen ist. Sie strebt vielmehr danach, diese Begriffe in ihren unmittelbaren
diachronen und synchronen diskursiven Kontext zu stellen und ihnen somit
ihre historische Sprengkraft zurĂŒckzuerstatten.
3.1 Eigenschaftslosigkeit
Was ist ein âMann ohne Eigenschaftenâ ? Ulrichs erste, noch nicht namentliche
ErwĂ€hnung im 2. Kapitel bezeichnet ihn âaugenblicklichâ als Menschen, âder
gar nichts tutâ, der nĂ€mlich in einer fĂŒr ihn charakteristischen Haltung âhinter
einem der Fensterâ seines Hauses steht und sinnierend auf die StraĂe blickt, sich
also auf exemplarische Weise abwartend-kontemplativ verhÀlt (MoE 12). Im
Verlauf seiner Kontemplation gelangt der zunÀchst anonyme und mit gewisser
Folgerichtigkeit erst spĂ€ter â nĂ€mlich im 5. Kapitel â als Ulrich identifizierte
Protagonist zum Bewusstsein der oben bereits ausfĂŒhrlich diskutierten relati-
ven Bedeutungslosigkeit des einzelnen Individuums angesichts der modernen
Massengesellschaft : ââMan kann tun, was man will ;â sagte sich der Mann ohne
Eigenschaften achselzuckend âes kommt in diesem Gefilz von KrĂ€ften nicht
im geringsten darauf an !â Er wandte sich ab wie ein Mensch, der verzichten
gelernt hatâ (MoE 13). Entscheidend fĂŒr das negativ charakterisierende Epi-
theton ist demnach das desillusorische Bewusstsein von der MarginalitÀt des
1 Hoffmann : âDer Dichter am Apparatâ, S. 232.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208