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2. Autor und Romanheld in der Moderne â Musils
indirekte Selbstanalyse
Das abschlieĂende Kapitel macht sich zur Aufgabe, in einem letzten analy-
tischen Schritt die bisher erzielten Ergebnisse der Untersuchung von Text
und Kontext nach den methodischen Vorgaben der Sozioanalyse literarischer
Texte systematisch auf den Autor zu beziehen : Musils Roman soll als indirek-
ter âVersuch der Selbstobjektivierung, der Selbstanalyse, der Sozioanalyseâ ge-
deutet werden1, ohne aber einem primitiven Biografismus zu verfallen.2 Eine
solche Vorgehensweise verspricht, den prekÀren Zusammenhang zwischen
Schriftstellerbiografie und literarischem Text auf methodologisch kontrollierte
Weise wieder zu einem legitimen Gegenstand literaturwissenschaftlicher Er-
kenntnis und Theoriebildung werden zu lassen, nachdem die (post-)struktura-
listische Literaturtheorie die Kategorie des Autors rhetorisch und programma-
tisch wirkungsvoll aus dem analytischen Instrumentarium der Kritik verbannt
hat.3 Es geht Bourdieu nicht darum, von neuem âdas Postulat des Sinns der
â erzĂ€hlten und implizit jeder â Existenz zu akzeptierenâ, das von ihm selbst
kritisch diagnostiziert und analysiert worden ist.4 Wenn seine Untersuchungs-
1 Bourdieu : Die Regeln der Kunst, S. 54 f. Es handelt sich um ein Pensum, das schon Karl Mann-
heim âals seins- und standortgebundene Relationierung des eigenen Denkensâ (so NĂŒbel : Rela-
tionismus und Perspektivismus, S. 146) beschrieben, aber mehr theoretisch postuliert als prak-
tisch realisiert hat (vgl. ebd., S. 159). Mit Mannheims Worten : âObjektivitĂ€t und eigenstĂ€ndiges
WeltbewuĂtsein erlangt der Mensch nicht dadurch, daĂ er seinen Willen zum Handeln aufgibt
und seine Wertungen suspendiert, sondern dadurch, daĂ er sich sich selbst gegenĂŒberstellt und
prĂŒft. Das Kriterium einer solchen Selbstdurchleuchtung besteht darin, daĂ wir uns ebenso
rĂŒckhaltlos der Erkenntnis aussetzen, wie wir es mit den Objekten tun.â (Mannheim : Ideologie
und Utopie, S. 43)
2 Dies sei gegenĂŒber der wiederholt gemachten â aber deshalb nicht stichhaltigen â BefĂŒrchtung
betont, der âschon so oft kritisierte Ansatz Bourdieusâ könne âdem philologischen Schreckge-
spenst des Biographismus neuen Auftrieb [âŠ] gebenâ, wie Beilein : Ein erweitertes Feld, S. 4,
nahelegt ; vgl. Köppe/Winko : Neuere Literaturtheorien, S. 198. Wie in Kap. I.1.1 bereits ausge-
fĂŒhrt wurde, geht es der Sozioanalyse nicht um eine eindimensionale Ableitung des literarischen
Textes aus der Biografie des Autors, sondern um den Versuch, methodologisch einer komplexen
Beobachtungssituation gerecht zu werden â eine Herausforderung, die man nicht bewĂ€ltigt,
indem man sie einfach negiert bzw. Denkverbote erlÀsst oder so tut, als hÀtte die literarische
Gesellschaftskonstruktion des Autors nichts mit seinen sozialen Erfahrungen zu tun.
3 Vgl. vor allem Barthes : Der Tod des Autors ; dazu und zu den theoriegeschichtlichen Hinter-
grĂŒnden und Implikationen Wolf : Wie viele Leben hat der Autor ?
4 Bourdieu : Die biographische Illusion, S. 76.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208