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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Page - 547 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

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547„Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ Stumm betreibt sein PlĂ€doyer fĂŒr eine AufrĂŒstung von Artillerie und Marine durchaus beharrlich, wobei er bei der erneuten Formulierung seines Vorschlags sogar merklich weniger euphemistisch „von einer etwa bevorstehenden Lan- desverteidigung“ spricht (MoE 585). Bezeichnend ist in diesem Zusammen- hang der Umstand, dass Stumms Stellungnahme vom offenbar eingeweihten Arnheim (vgl. MoE 774 f.) vorbereitet wird und zum MissvergnĂŒgen Leins- dorfs auch lĂ€ngst mit Tuzzi bzw. dem Außenministerium akkordiert erscheint (vgl. MoE 585 f.). Der folgende Scherz des Generals ĂŒber fehlende ZĂŒndhölzer bei einem etwaigen Kriegsausbruch, der offenbar die an den angedeuteten Ma- chinationen unbeteiligten GesprĂ€chsteilnehmer ablenken und beruhigen soll, kann den „bedrohliche[n] Ernst“ (MoE 586) der Situation nur mĂŒhsam ĂŒber- tĂŒnchen. Wenn Diotima daraufhin Stumms AufrĂŒstungsplĂ€ne empört ablehnt, weil man damit in Kakanien genau das tĂ€te, „was man Deutschland vorwirft“ (MoE 586), dann motiviert sie im Nachhinein Stumms Sorge angesichts ihres pazifistischen Engagements, die er gegenĂŒber Ulrich schon relativ frĂŒh artiku- liert hatte : „Und ich bin jetzt ehrlich besorgt, daß deine Kusine mit ihren Be- strebungen am Ende noch etwas anrichtet, das ihr sehr schaden kann, wĂ€hrend ich ihr weniger helfen kann als je !“ (MoE 465) Dem, der genau hinhört, wird bereits an dieser Stelle die Sympathie fĂŒr den tölpelhaften General ein wenig vergĂ€llt. Stumm selber verbirgt ĂŒberdies zu keinem Zeitpunkt seine an Clau- sewitzens Diktum vom ‚Krieg als FortfĂŒhrung der Politik mit anderen Mitteln‘ angelehnte, in der Formulierung aber noch verschĂ€rfte, ja ganz offen bellizisti- sche „Überzeugung, daß der Krieg nichts ist wie die Fortsetzung des Friedens mit stĂ€rkeren Mitteln, eine kraftvolle Art der Ordnung, ohne die die Welt nicht mehr bestehen kann“ (MoE 521). Er bestĂ€tigt spĂ€ter auch die von Ulrich ver- muteten „gemeinsame[n] Interessen mit dem Arnheim an diesen Ölfeldern“ und gibt sich damit zögerlich als gewiefter Machtpolitiker zu erkennen, der sogar den preußischen Nabob ‚vorzuspannen‘ gedenkt, wie er jetzt erstaun- lich offenherzig formuliert (MoE 775). In Übereinstimmung mit seiner bisher so erfolgreichen Verschleierungstaktik verharmlost er etwa seine militĂ€rische Aufgabe wĂ€hrend der Annexion Bosniens 1908 mithilfe einer schnurrigen Anekdote (MoE 775 f.) und versucht gegenĂŒber dem schließlich misstrauisch werdenden Ulrich zuletzt auch seinen politischen „Auftrag“ in der Parallelak- tion als „Teilauftrag“ oder gar „Auftragerl“ herunterzuspielen : „Ich bin jetzt ein RĂ€dchen. Ein FĂ€dchen. Eine Amorette, in deren Köcher man nur noch einen einzigen Pfeil gelassen hat 
 !“ (MoE 1131) In diesen verniedlichenden Wor- ten steckt freilich wieder eine gehörige Portion Wahrheit, denn im modernen Staatsapparat kommt es genauso wenig wie im modernen Stellungskrieg auf heroische Ritterlichkeit alten Schlages an, wie Musils soziologisch und mili-
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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