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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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565„Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ Mit solchen und weiteren eindrĂŒcklichen Proben des völkischen Diskur- ses holt Musil eine Ă€ußerst wirkungsmĂ€chtige zeitgeschichtliche Denkform und Redeweise in seinen Roman.685 Die ideologiegeschichtliche Lokalisierung und ideologiekritische Motivierung der von Hans Sepp vertretenen Ideolo- geme durch den essayistischen ErzĂ€hler geschieht allerdings relativ versteckt : So erfĂ€hrt man zunĂ€chst nur, dass sich die besagten „freien Geistessekten“ in der deutschen Jugend „seit dem Zerfall des humanistischen Ideals“ (MoE 313) ausgebreitet haben ; konkrete Hinweise auf sozial- und kulturgeschichtli- che HintergrĂŒnde des völkischen Denkens sind zwar durchaus in verstreuter Form vorhanden, mĂŒssen aber durch die Analyse erst systematisch zusam- mengefĂŒhrt werden. Hier ist eine rekonstruktive historische Kontextualisie- rung dienlich, die zudem der von Cornelia Blasberg fĂŒr den Mann ohne Eigen- schaften diagnostizierten „doppelten Zeitstruktur von romaninterner AktualitĂ€t (1913/14) und der AktualitĂ€t fĂŒr den Schreibenden (1918–1942)“686 gerecht zu werden hat, indem sie sowohl die Ebene der erzĂ€hlten Zeit wie die der ErzĂ€hlzeit in Betracht zieht. Erst durch eine solche auch soziologisch infor- mierte Rekontextualisierung wird offensichtlich, wie akkurat Musil in seiner romanesken Rekonstruktion des deutschnationalen Milieus verfĂ€hrt.687 In seinem Buch ĂŒber das Wien der Jahrhundertwende hat Michael Pollak daran erinnert, dass „die studentische soziale Basis“ der deutschnationalen Be- wegung in Österreich eine bis 1848 zurĂŒckreichende Tradition hat ; seit da- mals habe hier „die Verwendung des Themas Deutschtum als Mittel der Sub- version der innerhalb des intellektuellen Feldes zwischen den Generationen herrschenden KrĂ€fteverhĂ€ltnisse“ fungiert.688 Die im Wiener Wagnerkult689 685 Vgl. Fuchs : Geistige Strömungen in Österreich, S. 194 : „Die deutsche oder ‚arische‘ Weltan- schauung war um 1900 in Österreich geradezu Mode. Sie wurde hĂ€ufig selbst von Juden akzep- tiert, und zwar einschließlich des Antisemitismus.“ 686 Blasberg : Krise und Utopie der Intellektuellen, S. 8. 687 Er vermeidet dabei monokausale ErklĂ€rungsmuster, wie sie etwa die marxistische ZurĂŒckfĂŒh- rung des österreichischen Deutschnationalismus auf die Machenschaften des „deutsche[n] Monopolkapitalismus“ bietet ; vgl. Fuchs : Geistige Strömungen in Österreich, S. 171 u. bes. S. 195 : „Erst die raffinierte Kombination der politischen mit der kulturellen, der offenen mit der getarnten Propaganda gab ihm [dem ‚deutschen Monopolkapitalismus‘, N. C. W.] die Möglich- keit, hunderttausende Österreicher zu bewußten und unbewußten Imperialisten zu machen. Die verhĂ€ngnisvollen Tendenzen, die uns am Ende des franzisco-josephinischen Zeitalters in manchen Volksschichten begegnen ; die Mißachtung der Demokratie, der rassische Antisemi- tismus, der Haß gegen das Slawentum – sie sind nicht von selber entstanden, sondern durch Mißbrauch sĂ€mtlicher Methoden der modernen Volkserziehung kĂŒnstlich geschaffen worden.“ 688 Pollak : Wien 1900, S. 103. 689 Vgl. ebd., S. 118, zu dem 1883 von den ‚deutschen‘ Studenten Wiens veranstalteten Trauer- kommers anlĂ€sslich des Todes von Richard Wagner, angesichts dessen deutlich wurde, „daß
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Title
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Subtitle
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Author
Norbert Christian Wolf
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2011
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
1224
Keywords
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Category
Geisteswissenschaften

Table of contents

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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